Bekämpfung von Umweltkriminalität in NRW endlich stärken – Schwerpunktstaats­anwaltschaft und Koordinierungsstelle für NRW einrichten

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Norwich Rüße

I. Ausgangslage Defizite bei der Bekämpfung von Umweltkriminalität

Umweltkriminalität gilt in absoluten Zahlen hinter Waffen-, Drogen- und Menschenhandel als das viertgrößte Verbrechen weltweit. Sie umfasst die Bereiche der Abfallwirtschafts- und der Lebensmittelkriminalität sowie all jene Handlungen, die gegen Vorschriften zum Schutz der Umweltgüter Boden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere verstoßen. Durch Umweltstraftaten werden ohnehin begrenzte und für Tiere und Menschen lebenswichtige Ressourcen um einen weiteren Faktor bedroht. Laut einem Bericht von Interpol und UN Environment aus dem Jahr 2016 macht Umweltkriminalität weltweit einen geschätzten Wert von 91 bis 259 Milliarden US-Dollar aus, bei einem jährlichen Wachstum von 5 bis 7 Prozent.1 Der Bericht betont in deutlichen Worten, dass diese Entwicklung zunehmend nicht nur staatliche Einnahmen, gesetzestreu handelnde Unternehmen und eine nachhaltige Entwicklung, sondern auch Frieden und Sicherheit bedroht.2

Ein Bericht vom Umweltbundesamt zur Umweltkriminalität und ihrer Bekämpfung in Deutschland aus dem Jahr 2019 bestätigt bisherige Erkenntnisse von Expertinnen und Experten, dass in Deutschland ein Defizit beim Vollzug des Umwelt(straf)rechts besteht.3 Die Liste der bekannten Umweltskandale ist auch in Nordrhein-Westfalen lang und reicht vom Handel mit geschützten Tierarten bis zum illegalen Gülleimport aus den Niederlanden, von Schiebereien mit Quecksilber wie bei der Essener Firma DELA, Industrieunfällen wie dem Kerosinleck bei der Firma Shell in Wesseling, bis hin zur unsachgemäßen Entsorgung von PCB-haltigen Transformatoren im Dortmunder ENVIO-Skandal.

2004 wurde zur Steuerung der Bekämpfung der Umweltkriminalität eine Stabsstelle Umweltkriminalität (StabUK) im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur-  und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen eingerichtet. Die Stabsstelle sollte hinsichtlich der Bekämpfung der Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden fördern, Netzwerke zwischen diesen bilden und die Bereitschaft der Umweltverwaltungsbehörden stärken, solche Delikte zur Anzeige zu bringen. Zudem sollte die Stabsstelle die Ermittlungen von Justiz und Umweltverwaltungsbehörden mit rechtlicher und technischer Expertise unterstützen und bei Prozessen Stellungnahmen abgeben.

Eine weitere Aufgabe der Stabsstelle lag in der Organisation und Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Vertreterinnen und Vertreter der Umweltverwaltungsbehörden. Hiermit sollte der mangelnden Fachkenntnisse in diesen Stellen aufgrund hoher Personalfluktuation und unzureichender Möglichkeit zur rechtlichen Spezialisierung in einem komplexen Rechtsgebiet entgegengewirkt werden. Die Stabsstelle sollte auch eigene Untersuchungen einleiten, falls den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verdachtsfälle von Umweltkriminalität zur Kenntnis gebracht wurden (oft von Bürgerinnen und Bürgern und Umweltverbänden). Des Weiteren sollte die Stabsstelle Strafanzeige erstatten, wenn sich bei Untersuchungen Hinweise auf eine Straftat verdichteten.

Umweltdelikte sind Kontrolldelikte, eine gut aufgestellte Umweltverwaltung ist daher die beste Vorsorge. Durch die schwarz-gelbe Verwaltungsreform wurde die Umweltverwaltung in NRW jedoch nachhaltig geschwächt. Auch der damalige CDU-Umweltminister Eckhard Uhlenberg kritisierte am Ende seiner Regierungszeit 2009 den Mangel an Fachpersonal sehr deutlich und wies auf weitere eklatante Mängel in der Umweltverwaltung in Nordrhein Westfalen hin.4

Im Jahr 2017 wurde die Stabsstelle Umweltkriminalität jedoch kurz nach dem Regierungswechsel durch die ehemalige CDU-Umweltministerin Christina Schulze Föcking komplett aufgelöst statt sie zu stärken. Zur Begründung wurden von der Landesregierung personelle Gründe angeführt sowie auf eine angeblich mangelnde Effizienz und einseitige Schwerpunktsetzung der Stabsstelle verwiesen. Die Auflösung wurde öffentlich sehr stark kritisiert. Der vom Landtag von Nordrhein-Westfalen im Juni 2018 eingesetzte Parlamentarische Untersuchungsausschuss II (Hackerangriff/Stabsstelle) bekam u. a. den Auftrag, die Auflösung der Stabsstelle zu untersuchen.

Inzwischen wurde deutlich, dass Alternativen zur Auflösung der Stabsstelle nicht hinreichend geprüft und bewertet worden sind. Der WDR berichtete über ein Gutachten, das die Landesregierung bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Auftrag gegeben haben und das im September 2020 fertiggestellt worden sein soll. Das Gutachten soll zu dem Schluss gelangen, dass die Entscheidung des Umweltministeriums, auf die Prüfung von Alternativen zur Auflösung der Stabsstelle zu verzichten, auf Basis der Argumentation, die Mitarbeiter der Stabsstelle seien zu spezialisiert, nicht überzeugend sei.5

Des Weiteren soll laut dem Gutachten die Bekämpfung von Umweltkriminalität in der Linienstruktur des Umweltministeriums, die die aufgelöste Stabsstelle ersetzen sollte, nur noch Sekundäraufgabe sein. Das ergibt sich aus einem Zitat aus dem Gutachten, das in einem Beitrag für die WDR-Sendung „WestPol“ vom 13. Juni 2021 veröffentlicht wurde.6

Der Bericht vom Umweltbundesamt aus dem Jahre 2019 zu Umweltkriminalität und ihrer Bekämpfung in Deutschland benennt die Stabsstelle Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen als gutes Vollzugsbeispiel.7 Auch in einem Bericht des Rates der Europäischen Union von 2019 „Praktische Umsetzung und Durchführung der europäischen Strategien zur Verhütung und Bekämpfung der Umweltkriminalität“ über Deutschland wurde empfohlen, das Modell der Stabsstelle Umweltkriminalität aus NRW in allen Bundesländern zu übernehmen.8

II. Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft und einer Koordinierungsstelle

Der Bericht des Rates der Europäischen Union von 2019 „Praktische Umsetzung und Durchführung der europäischen Strategien zur Verhütung und Bekämpfung der Umweltkriminalität“ über Deutschland betont die Notwendigkeit, dass im Bereich der Umweltkriminalität Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter in der Lage sein müssen, mit besonders komplexen Rechtsfragen umzugehen. Es müsse daher für ausreichend geschulte und spezialisierte Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gesorgt werden.9 Es gibt jedoch keine allgemeinen Bestimmungen, die diese dazu verpflichten würden, sich auf Umweltkriminalität zu spezialisieren.10

Wenn man den Bericht des Umweltbundesamtes zugrunde legt, benötigt NRW in dreierlei Hinsicht eine bessere personelle und materielle Ausstattung: erstens die zahlenmäßige Erhöhung des Personals in den Verwaltungsbehörden, aber auch in der Polizei und beim Zoll, zweitens die qualitative Verbesserung der Fachkenntnisse dieses Personals und drittens eine bessere technisch-materielle Ausstattung.11

Zudem bietet sich die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft an, da ansonsten die Zufallszuweisung an verschiedene Dezernate eine Entwicklung an Spezialwissen verhindert. Hinsichtlich der Fachkenntnisse besteht die Notwendigkeit von Spezialisierungen. Hierzu werden zum einen mehr und regelmäßigere Fortbildungsangebote benötigt, ähnlich wie es die mittlerweile aufgelöste Stabsstelle Umweltkriminalität des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen gewährleistete. Zum anderen muss die Beschäftigung von Personal mit dem Bereich konstant erfolgen, um die Bildung von Expertise zu ermöglichen.

Von Relevanz bei der Bekämpfung von Umweltkriminalität ist auch, einen gleichen Wissensstand in sämtlichen mit der Strafverfolgung befassten Behörden zu gewährleisten, um so die Zusammenarbeit zu erleichtern. Auch müsste das Fachwissen von den oberen Behörden in die unteren Behörden gelangen, insbesondere zum Umgang mit ungewöhnlichen Fällen. Ergänzend zur Einführung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft muss daher zur Vermittlung von Wissen und zur Vernetzung der Akteure eine Koordinierungsstelle im Umweltministerium eingerichtet werden, die sich außerhalb des ministeriellen Linienaufbaus befindet und die Aufgaben einer Querschnittabteilung erhält.

Klar ist, dass Fälle von Umweltkriminalität typische Kontrolldelikte sind, die in der Regel nur durch entsprechende eigene Ermittlungen der zuständigen Behörden aufgedeckt werden. Nur durch eine konsequente Verfolgung von Umweltstraftaten und -ordnungswidrigkeiten und eine entsprechende personelle und materielle Ausstattung der zuständigen Behörden kann für eine effektive Umweltkriminalitätsbekämpfung und für Abschreckung bei rechtswidrig handelnden Personen und Unternehmen gesorgt werden.

III. Feststellungen
Der Landtag stellt fest:

  1. Durch Verunreinigung der Luft, von Böden und Grundwasser sowie von Gewässern wie Bächen, Flüssen und Seen betrifft Umweltkriminalität Bürgerinnen und Bürger, Pflanzen und Tiere erheblich; das weltweite Ausmaß von Umweltkriminalität wurde 2016 mit einem Wert von bis zu 259 Milliarden US-Dollar beziffert und damit zum viertgrößten Verbrechen erklärt; ihre Verhinderung, Aufdeckung und Verfolgung ist im Interesse der Gesamtgesellschaft – ihnen muss ein hoher Stellenwert eingeräumt werden.
  2. Die Stabsstelle Umwelt- und Verbraucherkriminalität hatte seit ihrer Einrichtung im Jahr 2004 an der Aufdeckung und Verfolgung von zahlreichen Umweltdelikten mitgewirkt. Es war daher ein großer Fehler, dass die ehemalige CDU-Umweltministerin Christina Schulze Föcking 2017 die Stabsstelle auflösen ließ.
  3. Die als Ersatz für die aufgelöste Stabsstelle Umweltkriminalität geschaffene und bis heute bestehende Struktur im Umweltministerium ist nicht effektiv genug und hat sich nicht bewährt, so dass Änderungen dringend geboten sind.
  4. Umweltstraftaten und -ordnungswidrigkeiten müssen in NRW konsequent verfolgt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, um einen Anstieg der Anzahl unentdeckter Fälle zu verhindern und im Allgemeinen mehr Fälle erfolgreich aufzuklären.

IV. Forderungen an die Landesregierung
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. für die Verfolgung besonders schwerer Umweltstraftaten eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit landesweiter Ermittlungsbefugnis einzurichten, z. B. bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Bundesnaturschutzgesetz, das Tierschutzgesetz oder auch bei großangelegten illegalen Abfallentsorgungen,
  2. eine Querschnittsabteilung im Umweltministerium einzurichten zur Sensibilisierung, Vermittlung von Wissen und zur Vernetzung der Akteure wie (Umwelt-)Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaften (Koordinierungsstelle Umweltkriminalität),
  3. eine Verbesserung der Personalausstattung in den Umweltbehörden zu erwirken – auch auf Ebene der Kreise und Kommunen – und die Fortbildung im Umweltrecht zu verstärken,
  4. den Personalbedarf der für die Überwachung von Umweltrecht zuständigen Bezirksregierungen regelmäßig abzufragen und stetig anzupassen,
  5. in der juristischen Ausbildung z. B. über Praktika und Stationen im Rechtsreferendariat auf die Arbeit im Umweltrecht aufmerksam zu machen und hierin auszubilden,
  6. Möglichkeiten zum regelmäßigen Erfahrungsaustausch unter den Behörden in den Bundesländern – idealerweise unter Einbindung von Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden – zu schaffen, durch entsprechende Ländererlasse, im Rahmen gemeinsamer Fortbildungen und einer institutionalisierten Arbeitsgruppe. Dabei sollten alle Ebenen, d. h. auch die unteren Vollzugsbehörden, beteiligt werden.

 

1 INTERPOL-UN Environment Programme (2016): Strategic Report. Environment, Peace and Security – A Convergence of Threats, S. 7 – online: https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/17008/environment_peace_security.pdf?sequ  ence=1&isAllowed=y

2 INTERPOL-UN Environment Programme (2016), S. 7.

3 Umweltbundesamt (2019): Status quo und Weiterentwicklung des Umweltstrafrechts und anderer Sanktionen: Instrumente zur Verbesserung der Befolgung von Umweltrecht (Compliance). Abschlussbericht, S. 3 – online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-11-07_texte_135-2019_umweltstrafrecht_0.pdf

4 https://www.derwesten.de/politik/landtag-streitet-wegen-stellen-in-umweltverwaltung-id3773832.html

5 WDR, Vertrauliches Gutachten: Laschets Regierung vernachlässigt Umweltkriminalität, 6. Juni 2021 – online: https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/westpol-umweltkriminalitat-stabsstelle-gutachten100.html

6 WDR, WestPol vom 13. Juni 2021 – online: https://www.ardmediathek.de/video/westpol/wdr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLThkOGFjYm FkLTZjNjEtNGNlMy04Y2YxLThiNWZjMm  QzZDk2Ng/

7 Umweltbundesamt (2019), S. 95 – online:

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-11-07_texte_135-2019_umweltstrafrecht_0.pdf

8 Rat der Europäischen Union (2019): Evaluierungsbericht zur achten Runde der gegenseitigen Begutachtungen „Praktische Umsetzung und Durchführung der europäischen Strategien zur Verhütung und Bekämpfung der Umweltkriminalität“. Bericht über Deutschland, S. 120 (Nr. 13) – online: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11430-2018-REV-1/de/pdf

9 Rat der Europäischen Union (2019), Seite 120 (Nr. 4) – online:
https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11430-2018-REV-1/de/pdf

10 Rat der Europäischen Union (2019), Seite 10 – online:

https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11430-2018-REV-1/de/pdf

11 Umweltbundesamt (2019), Seite 129 – online:

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-11-07_texte_135-2019_umweltstrafrecht_0.pdf