Verantwortung übernehmen: Gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen garantieren

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I. Situation in der Wissenschaft:

Ob bei der Erforschung des Klimawandels, der Entwicklung von Impfstoffen oder der Aufklä­rung von Verschwörungsmythen – Wissenschaft ist von elementarer gesellschaftlicher Bedeu­tung. Mit der höchsten Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa sollte die Wissenschaft für das Land NRW einen hohen Stellenwert haben. Gute Forschungs- und Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft bilden die Grundlage für die präzise Analyse gesell­schaftlicher Probleme und für zukunftsweisende Innovationen. Gute Arbeitsbedingungen für die im Wissenschaftsbetrieb Beschäftigten sind eine zentrale Basis für erfolgreiche wissen­schaftliche Arbeit. Aber über 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals in NRW ist befristet beschäftigt. Dabei sind ungewollte Teilzeitverträge bei gleichzeitigen ungewollten Überstun­den keine Seltenheit.

Unter dem Hashtag #IchBinHanna haben seit Juni 2021 zahlreiche wissenschaftliche Beschäf­tigte und Menschen mit Berufserfahrung in der Wissenschaft ihrem Ärger über die schlechten Arbeitsbedingungen mit unsicherer Zukunftsperspektive in der Wissenschaft Luft gemacht. Der Protest verdeutlicht eine Schieflage innerhalb der Wissenschaftslandschaft in Deutsch­land: Obwohl immer wieder beteuert wird, wie wichtig Bildung und Forschung sind, scheinen die amtierende Bundes- und die Landesregierung nicht bereit zu sein, für gute Bedingungen in der Wissenschaft zu sorgen. Die Landesregierung hat unter anderem mit Änderungen am Hochschulgesetz die Lage sogar verschlimmert. Die Bundesregierung hat eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes verschleppt, obwohl diese im Koalitionsvertrag vereinbart war. Dabei sind Bund und Land gemeinsam mit den Hochschulen dafür verantwortlich, dass gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen herrschen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich oft von einem Kurzvertrag zum nächs­ten hangeln und wissen nicht, ob sie in einem halben Jahr noch die Miete zahlen können. Gleichzeitig verlieren Professorinnen und Professoren regelmäßig unwillentlich aufgrund der Umstände ihre erfahrenen und wertvollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das können sie manchmal nur hinauszögern, indem sie kurzfristig externe Mittel einwerben, um ihren Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern eine befristete Verlängerung zu verschaffen. Dieser Missstand hat nicht nur Auswirkungen auf die Lebenssituation einzelner Menschen und ihrer Familien, sondern auch auf die Leistungsfähigkeit der Hochschulen sowie die Qualität von Lehre und Forschung. Zudem führen befristete Arbeitsverträge, schlechte Arbeitsbedingungen und ver­gleichsweise geringe Bezahlungen dazu, dass den Hochschulen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Wirtschaft oder ins Ausland verloren gehen und große Potenziale nicht ausgeschöpft werden.

Chancengleichheit und Diversität sind zentral für Qualität, Leistungsfähigkeit und Gerechtig­keit im Wissenschaftssystem. Jedoch stehen Frauen, People of Color, Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien, mit geringen ökonomischen Ressourcen oder mit internationaler Famili­engeschichte, sowie Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung oder chronischer Er­krankung noch immer vor besonderen Herausforderungen beim Karriereweg innerhalb der Wissenschaft.

Lehre, Forschung und Wissenstransfer sind wichtige Pfeiler von Gesellschaft und Innovations-kraft. Die Pandemie hat noch einmal deutlich gemacht, welche wichtige Rolle Wissenschaft in Deutschland und weltweit spielt oder spielen müsste. Bessere und verlässliche Karrierewege an den Hochschulen nutzen Forschung, Lehre und der privaten Lebensplanung der Beschäf­tigten in der gesamten Gesellschaft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wirken mit ihrem Know-how direkt in die Gesellschaft, das Bildungs- und Gesundheitswesen oder die Wirtschaft hinein. Nur mit guten Arbeitsbedingungen lassen sich beste Bedingungen für For­schung, Lehre und Wissenstransfer in NRW dauerhaft sicherstellen.

II. Wege zu besseren Arbeitsbedingungen:

Das System aus Kurzverträgen, Kettenbefristungen und Dauerüberlastung muss beendet wer­den. Es braucht einen klugen rechtlichen Rahmen im Bund und mehr Unterstützung des Bun­des für die Länder. Dafür muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz grundlegend reformiert werden. Ziel muss ein rechtlicher Rahmen sein, der hilft den Anteil der unbefristeten Stellen grundlegend zu erhöhen. Es braucht mehr Dauerstellen für Daueraufgaben, um ein breites Fundament für gute Lehre und zukunftsweisende Forschung in NRW zu legen. Befristungen müssen mit entsprechenden Auflagen für Hochschulen und Perspektiven für die Beschäftigten verbunden sein und faire Vertragslaufzeiten schaffen. Das bedeutet etwa, dass die sechs Jahre vor und nach der Promotion den Beschäftigten auch tatsächlich zur Verfügung stehen und keine Qualifikation gefährdet ist, weil Stellen nicht verlängert werden. Der Wiedereinstieg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, deren Laufbahnen durch die Regelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ungerechterweise beendet wurden, muss gesetzlich ermöglicht werden.

Gleichzeitig müssen ganz besonders die landespolitischen Möglichkeiten genutzt werden, um attraktive und zukunftsfähige Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in unserem Land zu schaffen. Verlässliche Erhöhungen der Grundfinanzierung sind auch in NRW notwendig. Darüber hinaus hat das Land weitere Mög­lichkeiten unsachgemäße, kurze und Kettenbefristungen an Hochschulen einzudämmen. Dazu gehören rechtliche Rahmenregelungen, um verlässlich Verträge für gute Beschäfti­gungsbedingungen an den Hochschulen sicherzustellen. Die Umsetzung bestehender rechtli­cher Regelungen muss sichergestellt werden, um einen hohen Standard und verlässliche Ver­einbarungen bei der Betreuung aller Promovierenden und Postdocs zu gewährleisten.

Es braucht sichere und transparente Berufswege an den Hochschulen in NRW, die von Beginn an Planungssicherheit ermöglichen. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen ihren Aufgaben in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung nachkommen können, ohne stän­dig von Existenzsorgen geplagt zu sein. Deswegen braucht es mehr Dauerstellen und Karrie­rewege abseits von Professuren. Bund und Land sind gemeinsam verantwortlich, die dafür nötigen Gelder bereitzustellen. Der Ausbau des wissenschaftlichen Mittelbaus an den Hoch­schulen für angewandte Wissenschaften muss mit entsprechend guten Arbeitsbedingungen einhergehen. Jedem Lehrstuhl soll mindestens Stelle für eine wissenschaftliche Mitarbeiterin oder einen wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Verfügung stehen.

Die Chancen- und Geschlechterungerechtigkeit muss durch gezielte Förderprogramme über­wunden und durch eine Anpassung der Hochschulstatistik auch in ihrer Wirkung überprüfbar gestaltet werden. Bei der Ausgestaltung der Programme sollen die spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berücksichtigt werden. Die Interessenvertretungen, welche sich mit den Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und Chan­cengleichheit an den Hochschulen auseinandersetzen, sind hier wichtige Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Veränderungen.

Auch die Arbeitsbedingungen von studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften müssen verbessert werden. Studentische Beschäftigte brauchen eine tarifliche Absicherung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen. Dafür müssen die Länder ihre Blockadehaltung aufgeben und einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte ermöglichen, wie ihn unter anderem die unterstützenswerten Initiativen „TVStud“ fordern. Für alle studentischen Beschäftigten müssen Personalvertretungen gewährleistet werden. Es braucht eine gerechte Vertretung von Profes­sorinnen und Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung sowie Studierenden in allen Gremien der Hochschulen.

Gute Arbeitsbedingungen setzen zudem eine gute Infrastruktur voraus. Diese Bedingungen sind in NRW derzeit nicht gegeben. Der Sanierungsbedarf bei den Hochschulen, Universitäts­kliniken und Studierendenwerken liegt bei fast dreizehn Milliarden Euro. Der Sanierungsstau muss mit einem neuen Sanierungsprogramm effektiv bekämpft werden. Die Sanierungen müs­sen zudem zu einem möglichst klimaneutralen Gebäudebestand führen. Die derzeitigen Maß­nahmen des Landes reichen dafür nicht aus. Für einen zukunftsfähigen Wissenschaftsstandort braucht es zudem erhebliche Investitionen in die digitalen Infrastrukturen der Hochschulen, Universitätskliniken und Studierendenwerke.

III. Der Landtag beschließt:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. sich aktiv für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen einzusetzen. Dazu gehören vor allem eine höhere Grundfinanzierung und bessere rechtliche Rahmenbedingungen im Hochschulgesetz, wie eine Garantie für Verträge über gute Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen.
  2. sich gegenüber der Bundesregierung für eine grundlegende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes einzusetzen, die unter anderem dazu führt, dass mehr unbefristete Stellen an Hochschulen möglich und Qualifikationsstellen fair ausgestaltet werden.
  3. die Umsetzung bestehender rechtlicher Regelungen an den Hochschulen sicherzustellen, unter anderem zum Abschluss und zur Ausgestaltung von Betreuungsvereinbarungen für Doktorandinnen und Doktoranden nach § 67 Absatz 2 Satz 3 Hochschulgesetz.
  4. gemeinsam mit den Hochschulen Vereinbarungen zu treffen, um die Zahl der Dauerstellen weiter zu erhöhen und neue Karrierewege abseits von Professuren zu etablieren. Dazu gehört, dass an Hochschulen für angewandte Wissenschaften jedem Lehrstuhl mindestens eine Stelle für eine wissenschaftliche Mitarbeiterin oder einen wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Verfügung steht.
  5. durch gezielte Förderprogramme dafür zu sorgen, dass Diskriminierung, Chancenungerechtigkeit und andere Karrierehindernisse für Frauen, People of Color,Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien, mit geringen ökonomischen Ressourcen oder mit internationaler Familiengeschichte, sowie Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung oder chronischer Erkrankung an Hochschulen überwunden werden können. Bei der Ausgestaltung der Programme sollen die spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärker berücksichtigt werden.
  6. sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten einzusetzen. Ist mit den anderen Ländern kein bundesweiter Tarifvertrag für studentische Beschäftigte erreichbar, so braucht es eine Lösung nur für NRW.
  7. im Hochschulgesetz sicherzustellen, dass es in jedem Fall an jeder Hochschule eine Personalvertretung für studentische Beschäftigte gibt und dass alle Statusgruppen in den Gremien der Hochschulen angemessen vertreten sind.
  8. den Sanierungsstau an Hochschulen, Universitätskliniken und Studierendenwerken mit einem ernsthaften Sanierungsprogramm anzugehen und dabei auch das Ziel zu verfolgen, dass die Gebäude klimaneutral werden. Ebenso müssen erheblich mehr Investitionen in die digitalen Infrastrukturen von Hochschulen, Universitätskliniken und Studierendenwerken getätigt werden.
  9. das Personalvertretungsgesetz, das Hochschulgesetz sowie weitere einschlägige Gesetze und Verordnungen auf Reformbedarf zu prüfen, mit dem Ziel die Arbeitsbedingungen an Hochschulen zu verbessern. Dazu sind die Stellungnahmen aus den Hochschulen, etwa von den Landespersonalrätekonferenzen und der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten, zu berücksichtigen. Über das Ergebnis der Prüfung ist dem Landtag vorab zu berichten.