Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus wirksam begegnen!

Entschließungsantrag der GRÜNEN im Landtag zum Antrag der SPD-Fraktion „Fit für Demokratie: Schutz vor Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus verstärken!“

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I. Ausgangslage

Rechtsextreme Bedrohung

Im Jahr 2019 wurde unsere demokratische Gesellschaft von mehreren rechtsextrem, rassistisch und antisemitisch motivierten Anschlägen erschüttert.

In der Silvesternacht wurden Menschen im Ruhrgebiet aus rassistischen Motiven angegriffen. Ein Mann fuhr gezielt in feiernde Menschengruppen, die seines Erachtens einen Migrationshintergrund hatten. Dabei wurden vierzehn Menschen verletzt, eine Frau lebensgefährlich. Darunter waren auch zwei Kinder.

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, Dr. Walter Lübcke, im Juni war ebenfalls rassistisch motiviert. Der dringend Tatverdächtige Stephan E. war den Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit als Mitglied der Kasseler Neonazi-Szene bekannt. Sein Motiv war offenbar die klare Haltung von Dr. Lübcke zur Aufnahme von Geflüchteten.

Erst vor wenigen Wochen versuchte Stephan B. in die Synagoge in Halle einzudringen und die Menschen, die dort den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur begingen, zu töten. Nachdem dies nicht gelang tötete B. eine Frau auf der Straße und später einen Mann in einem Imbiss. B. hatte die Tat lange vorbereitet und sie selbst per Livestream veröffentlicht. Neben dem ganz eindeutigen antisemitischen Motiv, war B. auch von rassistischen und – nicht zuletzt – antifeministischen Ideologien geleitet.

Diese Anschläge verdeutlichen die akute und konkrete Gefahr des Rechtsterrorismus. Auf diese Gefahr haben Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten und gegen Rechtsextremismus engagierte Menschen spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU immer wieder hingewiesen. Ein effektives Handeln staatlicher Stellen ist dringend notwendig. Dabei ist es wichtig, die neuen Entwicklungen und Erscheinungsformen im rechtsextremem Spektrum wahrzunehmen und bei entsprechenden Maßnahmen zu berücksichtigen.

Die oben genannten Anschläge zeigen auch, wie unterschiedlich die Täter rechter Gewaltakte agieren, und dass nicht immer eine enge Anbindung an den organisierten Rechtsextremismus vorliegt. Gleichwohl zeigt der organisierte Neonazismus in den letzten Jahren eine noch stärker auf Gewalt fokussierende Agitation auf.

Mit rechtsextremen Kampfsportveranstaltungen, die mit dem Format „Kampf der Nibelungen“ mehrfach auch in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben, werden neben kommerziellen Interessen auch die Zwecke einer Vernetzung der Szene und vor allem eine Professionalisierung eines vermeintlich bevorstehenden „Kampfes auf der Straße“ verfolgt. Die rechtsextreme Szene übt mit solchen Veranstaltungen Kampftechniken ein, die sie gegen Menschen einsetzen will. Dabei gibt es große Überschneidungen zu rechten Hooligan-Szenen und zur Rechtsrock-Szene. Der Hauptorganisator von „Kampf der Nibelungen“ ist ein führendes Mitglied des Dortmunder Kreisverbandes von „Die Rechte“.

Die aktuell in Essen, Köln, Mönchengladbach, Düsseldorf und Herne agierenden bürgerwehrähnlichen Gruppierungen, die teilweise wöchentlich Versammlungen durchführen und eine hohe Gewaltaffinität aufweisen, sind im Zusammenhang mit HoGeSa zu sehen, zumal einer der Hauptakteure in diesen Mischszenen von rechten Rockern, Hooligans und Rechtsextremen einer der Organisatoren der Demonstration 2014 von HoGeSa in Köln war. Auch wenn diese Gruppierungen versuchen das Label des Rechtsextremismus von sich zu weisen, ist inzwischen mit Blick auf die Teilnahme von bekannten Neonazis an den Versammlungen und die offenen Gewaltandrohungen durch die Düsseldorfer „Bruderschaft Deutschland“ auf Demonstrationen in Mönchengladbach und in Berlin sehr klar, dass es sich um rechtsextreme Gruppierungen handelt.

Besonders besorgniserregend sind die Aktivitäten von „Combat 18“. Dieses rechtsterroristische Netzwerk gilt als bewaffneter Arm der im Jahr 2000 vom Bundesinnenminister verbotenen Organisation „Blood & Honour“. „Combat 18“ verfolgt die rechtsterroristische Strategie eines „führerlosen Widerstandes“ und ist geprägt von antisemitischen und rassistischen Ideologien. In Nordrhein-Westfalen gehören in etwa zehn Personen, die vom Verfassungsschutz NRW beobachtet werden, diesem Netzwerk an. Von zwölf Personen aus diesem Netzwerk gingen in den letzten Jahren 84 Straftaten aus, die fast zu einem Drittel auch Körperverletzungsdelikte bzw. schwere Körperverletzungsdelikte umfassten. Nach dem Mord an Dr. Lübcke erschien ein Video von „Combat 18“, worin ein Zusammenhang des Mordes mit „Combat 18“ dementiert wurde. Eine Führungsfigur von „Combat 18“ aus Nordrhein-Westfalen nimmt regelmäßig an rechtsextremen Kampfsportveranstaltungen und an Versammlungen von „Die Rechte“ teil. Obwohl „Combat 18“ klandestin agiert, ist das Netzwerk doch eng angebunden an die Neonazi-Szene.

„Die Rechte“ wird im Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2018 als „Gravitationszentrum des Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen“ bezeichnet. Obwohl mit der NPD und Der III. Weg weitere neonazistische Parteien in Nordrhein-Westfalen existieren, sind bei nahezu allen neonazistischen Gruppierungen und Aktionen Verbindungen zu „Die Rechte“ nachweisbar. „Die Rechte“ knüpft unmissverständlich an den Zielen und der Ideologie des Nationalsozialismus an und tritt offensiv und äußerst gewaltbereit auf. Sie ist eine Nachfolgestruktur der im Jahr 2012 verbotenen rechtextremen Kameradschaften.

Seit 2018 ist eine Vielzahl von rechtsextremistisch, rassistisch und antisemitisch motivierten Drohbriefen und Flugblättern bekannt geworden. Auch in Nordrhein-Westfalen werden Medienschaffende, Moscheen, staatliche Einrichtungen, Vereine und Einzelpersonen auf diese Weise bedroht. Teilweise wären die Schreiben mit „Combat 18“ oder „Blood & Honour“ unterschrieben. Eine große Verunsicherung hat auch eine Flugblattaktion der „Atomwaffendivision Deutschland“ in der Kölner Keupstraße, einem Anschlagsort des NSU, ausgelöst.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Bereits seit Anfang der 2000er Jahre wird am Institut für interdisziplinäre Krisen- und Konfliktforschung in Bielefeld kontinuierlich zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geforscht. Die Ergebnisse zeigen, dass menschenfeindliche – also rassistische, antisemitische, antiziganistische, flüchtlingsfeindliche, sexistische, homophobe etc. – Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. So stimmen der 2019 erschienenen Mitte-Studie zufolge etwa 45% der Befragten der Aussage zu, dass „Asylbewerber in ihrem eigenen Land gar nicht verfolgt“ seien zu, knapp 18% sind der Auffassung, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte, knapp 27% können es mit Bezug auf die Politik von Israel „gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“. Diese hohen Zustimmungswerte zu eindeutig generalisierenden und abwertenden Einstellungen können nicht allein auf rechtsextreme Strukturen zurückgeführt werden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ein zentraler Befund der jahrelangen Forschung ist, dass die unterschiedlichen Ideologien der Ungleichwertigkeit in einem Zusammenhang mit einander stehen und sich gegenseitig verstärken. Die Hauptmotive des Täters von Halle, Stephan B., waren neben Antisemitismus auch Antifeminismus und Rassismus.

Am Phänomen Antisemitismus zeigt sich besonders deutlich, wie breit abwertende und feindselige Ansichten über eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe gestreut sind. Antisemitismus hat verschiedene Erscheinungsformen. Neben dem „klassischen Antisemitismus“, werden auch Auffassungen vertreten, die als „sekundärer Antisemitismus“ und als „israelbezogener Antisemitismus“ einzuordnen sind. Aufgrund der Tabuisierung des „klassischen Antisemitismus“ wird vielfach auf „sekundären“ und „israelbezogenen“ Antisemitismus ausgewichen. Dabei kommen die Anfeindungen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen sowie aus allen politischen Spektren. Wie verletzlich die Jüdinnen und Juden und ihre Gemeinden auch heute sind, zeigt der schreckliche Anschlag in Halle.

Viele gesellschaftlich marginalisierte Gruppen sind von Anfeindungen und auch tätlichen Angriffen betroffen. Oft erleben sie solche Angriffe als alltägliches Ereignis und bringen die Taten nicht immer zur Anzeige. Dafür haben sie unterschiedliche Gründe. Es kann sein, dass sie die Tat selbst nicht als strafbar einschätzen, weil sie so oft Anfeindungen erleben. Oder sie gehen davon aus, dass ihnen nicht geglaubt wird und etwaige Ermittlungen ohnehin eingestellt werden. Auch kommt es vor, dass das Vertrauen zu den Sicherheitsbehörden fehlt. Beratungsstellen berichten auch immer wieder davon, dass das politische Motiv von Hasskriminalität von der Polizei oder der Justiz nicht erkannt wird. Das führt zu einer hohen Dunkelziffer. Im Falle des antimuslimischen Rassismus gehen Expertinnen und Experten sogar von einer achtmal höheren Dunkelziffer aus, als an der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität abzulesen ist (Vgl. Neue Westfälische vom 11.11.2019 „Muslime werden täglich Opfer von Rassismus“)

Die Neue Rechte

Obwohl menschenfeindliche Einstellungen in allen politischen Strömungen vorkommen, ist festzustellen, dass sie einen Teil des Wesenskerns rechtsextremer und rechtspopulistischer Ideologien und Organisationen darstellen. Auch wenn sich die sogenannte Neue Rechte bemüht, sich von neonazistischen Gruppen zu distanzieren, liegt ihr die gleiche rassistische, antisemitische und autoritäre Ideologie zugrunde.

Sowohl bei der Identitären Bewegung, als auch in der AfD wird das Ziel eines Ethnopluralismus verfolgt. Dieser Begriff mag in manchen Ohren harmlos klingen, aber er stellt tatsächlich nur ein neues Label für die völkisch-rassistische Ideologie dar, die vom Nationalsozialismus vertreten wurde. Denn nach dem Konzept des Ethnopluralismus haben die unterschiedlichen „Völker“ eine Daseinsberechtigung in ihren eigenen Ländern, eine „Vermischung“ wird als Gefahr für die eigene Identität angesehen und abgelehnt. Die Neue Rechte orientiert sich an rechtskonservativen Theoretikern, deren Thesen den Nationalsozialismus hervorbrachten bzw. prägten.

Eine weitere Idee der Neuen Rechten, die eine Parallele zum Neonazismus bzw. Nationalsozialismus darstellt, ist die Verschwörungstheorie von einem vermeintlich bevorstehenden „Großen Austausch“. In dieser Verschwörungstheorie wird behauptet, dass es geheime Netzwerke gebe, die die Bevölkerung Europas austauschen wollten. Die Migration nach Europa sei durch diesen Geheimzirkel gesteuert und gefährde die alteingesessene Bevölkerung. Solche Szenarien einer vermeintlichen Überfremdung finden sich auch in der neonazistischen Idee eines vermeintlich drohenden „Volkstodes“ wieder.

Die Neue Rechte versucht sich intellektuell und bürgerlich zu geben. Aber ihre Ideologie unterscheidet sich im Kern nicht von der Ideologie des Nationalsozialismus. Einige rechtsterroristische Anschläge bezogen sich nicht direkt auf den Nationalsozialismus, sondern auf Theorien der Neuen Rechten. Darunter sind der Anschlag in Oslo und Utøya, der Anschlag im Münchener Olympia Einkaufszentrum, der Anschlag in Christchurch und auch der Anschlag in Halle.

II. Handlungsbedarfe

Aus der oben skizzierten Ausgangslage ergeben sich eine Reihe von Handlungsfeldern, in denen neue Maßnahmen erforderlich sind. Zum Schutz unserer vielfältigen demokratischen Gesellschaft müssen wir mit präventiven und repressiven Mitteln arbeiten.

An manchen Orten in Nordrhein-Westfalen sind verfestigte rechtsextreme Strukturen entstanden, an anderen Orten finden ohne eigene lokale Szene Konzerte oder Veranstaltungen statt, von denen die Kommunen überrascht werden. Die kommunalen Verwaltungen stehen daher immer wieder vor der Herausforderung, mit rechtsextremen Aktivitäten vor Ort umgehen zu müssen. Dabei kann es sich zum Beispiel um den Umgang mit Rechtsrock-Konzerten, rechtsextremen Kampfsportevents oder Immobilien handeln. Oftmals fehlt den kommunalen Verwaltungen die Erfahrung, rechtlich mit dieser Situation umzugehen oder es entstehen Handlungsunsicherheiten. Eine durch das Land eingerichtete Stelle, die den Kommunen in Nordrhein-Westfalen juristische Beratung in diesen Fällen anbietet, würde die Kommunen schneller handlungsfähig machen und rechtsextreme Umtriebe vor Ort damit auch schneller eindämmen.

Menschenfeindliche Einstellungen und Diskriminierungen betreffen in erster Linie Menschen mit bestimmten phänotypischen, kulturellen oder geschlechtlichen Merkmalen, sie wirken sich aber auch strukturell auf die gesamte Gesellschaft aus, da Diskriminierungen bestimmte Funktionslogiken der Auf- und Abwertung sowie des Ein- und Ausschlusses erfüllen. Um die Betroffenen zu stärken und gleichzeitig gegen strukturelle Diskriminierung vorgehen zu können, braucht es eine Landesantidiskriminierungsstelle, die sowohl
Unterstützungsangebote für Betroffene bereithält, aber auch auf diskriminierende Strukturen aufmerksam macht und dazu beiträgt, diese zu beseitigen. Die wissenschaftlichen Studien zu rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft haben in den letzten Jahren wichtige Erkenntnisse für die Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus geliefert. Für eine genauere Analyse der Dimensionen und Erscheinungsformen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Nordrhein-Westfalen benötigen wir jedoch weitere Instrumente. Mit einem regelmäßigen wissenschaftlichen Monitoring zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Nordrhein-Westfalen würde ein klareres Bild über die Verbreitung von menschenfeindlichen Einstellungen hier gewonnen werden, auf dessen Grundlage entsprechende Projekte und Initiativen entwickelt werden können. Da menschenfeindliche Einstellungen sich auch in feindseligen Handlungen und tätlichen Angriffen ausdrücken, die nicht immer als Hasskriminalität in die polizeilichen Statistiken einfließen, braucht es auch hierzu neue Instrumente, die diese Fälle abbilden. Mit einer Erfassung von Vorfällen, denen Hassmotive zugrunde liegen, könnten verschiedene zivilgesellschaftliche Stellen sowohl zur Aufhellung des Dunkelfeldes beitragen, als auch den Betroffenen Unterstützungsangebote zukommen lassen. Modellhaft ist hierzu die Recherche-und Informationsstelle Antisemitismus in Berlin (RIAS) anzusehen. Hier werden antisemitische Vorfälle aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen. Zudem werden die Erfahrungen von Betroffenen aufgenommen und diesen wird je nach Bedarf Unterstützung vermittelt. Dieses Konzept soll auch für Nordrhein-Westfalen adaptiert werden und es ließe sich auch auf andere Ideologien der Ungleichwertigkeit übertragen.

Um die Arbeit des Landes gegen Antisemitismus zu stärken, wurde die Stelle der Antisemitismusbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen eingerichtet. Für diese neue Stelle sollte es eine Aufstockung der personellen und sachlichen Ressourcen geben. Zudem sollte die Staatskanzlei ihre Arbeit mit einem jährlichen Bericht zu Erscheinungsformen und zur Entwicklung des Phänomens Antisemitismus unterstützen. Dieser Bericht sollte zudem entsprechende Handlungsempfehlungen umfassen. Grundlage für den ersten Bericht sollte eine Dunkelfeldstudie zu den unterschiedlichen Formen und den Dimensionen des Antisemitismus sein. Die Dunkelfeldstudie würde es erlauben, genauere Aussagen über die Hintergründe antisemitischer Handlungen und Straftaten zu treffen und diesen entsprechend entgegenzuwirken.

Auch im Bereich der Prävention und Intervention gegen Rechtsextremismus gibt es weiteren Handlungsbedarf. Die geplante Umstrukturierung im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ durch die hunderte Modellprojekte in der nächsten Förderperiode ab 2020 keine Bundesförderung mehr erhalten, ist angesichts der aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus nicht nachvollziehbar. Die bereits seit Jahren diskutierte und von der Bundesfamilienministerin zugesagte Forderung nach einem Demokratiefördergesetz, das dem Bund rechtssicher die Förderkompetenz für zeitlich nicht befristete Demokratiefördermaßnahmen ermöglicht, ist bis heute nicht vom Bundeskabinett beschlossen worden. Die Landesregierung ist aufgefordert, sich auf Bundesebene für ein Demokratiefördergesetz einzusetzen. Doch auch in Nordrhein-Westfalen müssen noch weitere Maßnahmen ergriffen werden, um die Präventionsarbeit und die Arbeit der verschiedenen Beratungsstellen zu stärken. So könnte das Landesnetzwerk gegen Rechtsextremismus seine Fachexpertise verstärkt in die Arbeit des Landes einbringen, wenn sie über Ressourcen für eine eigene Geschäftsstelle verfügen und sich selbst organisieren würde. Für die vielen kleinen zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bereich der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sollten unbürokratisch und niedrigschwellig Fördermittel zur Verfügung gestellt werden. Damit könnten die vielen ehrenamtlich Engagierten vor Ort kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen reagieren und wären in ihrer Arbeit für eine vielfältige demokratische Gesellschaft gestärkt.

Zur Prävention gehört auch, in der Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb von Schule Demokratie zu fördern, rechtsextremistische Positionen zu (er)kennen und dagegen angehen zu lernen. Schule als Ort des Lebens und Lernens ist eben nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche die demokratischen

Werte und Haltungen, Respekt und Miteinander einüben und praktizieren. Deshalb ist es wichtig, die partizipativen Strukturen in der Schule auszubauen und noch stärker in der Schulkultur zu verankern sowie Netzwerke von Schulen, wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ oder „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homo- und Transphobie“ zu stärken. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte müssen für rechtsextremistische bzw. antisemitische oder rassistische Vorfälle sensibilisiert werden und erfahren, wo sie solche melden und wo sie Hilfe bekommen können. Schulleitungen und Lehrkräfte müssen in Fortbildungen zu der neuen Brisanz der Erscheinungsformen von Rechtsextremismus und Antisemitismus sowie zur Frage des richtigen Umgangs damit geschult werden. In der Zusammenarbeit mit außerschulischen Trägern sind Anti-Gewalttrainings für Schülerinnen und Schüler wie für Lehrkräfte hilfreich.

Die jüngsten Daten zeigen, dass der Politikunterricht deutlich gestärkt werden muss und nicht zu Gunsten des Fachs Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt werden darf. Demokratiebildung im umfassenden Sinne baut auch auf außerschulische Lernorte wie z.B. Gedenkstätten oder der Zusammenarbeit mit außerschulischer Jugendarbeit. Hier gibt es viele unterschiedliche Träger und Programme, die für die Demokratiebildung von jungen Menschen in NRW von großer Bedeutung sind. Das gleiche gilt für die Volkshochschulen und die Weiterbildungseinrichtungen anderer Träger. Hierfür müssen auch innovative Formate leichter ermöglicht werden, um mehr Menschen zu erreichen. Schließlich muss die Landeszentrale für politische Bildung in ihrer Arbeit gestärkt werden, zumal sie wichtige Ansprechpartnerin sowohl für die Weiterbildung wie für Lehrkräfte ist.

Der Bereich der Sicherheitsbehörden wurde nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 mit dem Acht-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus deutlich gestärkt. Angesichts der neueren Entwicklungen in der rechtsextremen Szene ist eine weitere Verstärkung des Ermittlungsdrucks auf rechtsextreme und rechtsterroristische Netzwerke notwendig. Außerdem sollte ein strukturierter Austausch der Kreispolizeibehörden und der Landesoberbehörden der Polizei zum Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten eingeführt werden. Auf diesem Wege könnten die Polizeibehörden ihre Erfahrungen zusammentragen und wirksame Konzepte, z.B. zu Auflagen bei komplexen Versammlungslagen, entwickeln. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen von Betroffenen rechtsextremer und rassistischer Gewalt, dass sowohl bei der Polizei, als auch in den Staatsanwaltschaften nicht immer eine ausreichende Sensibilität für das Thema existiert. Verpflichtende Fortbildungen zu den Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind daher erforderlich.

Neben den bereits bestehenden vielfältigen Maßnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sollen diese neuen Maßnahmen effektiv und nachhaltig zur Eindämmung menschenverachtender Einstellungen sowie rechtsextremer Handlungen dienen.

III.       Der Landtag stellt fest

Der Landtag hat in 2019 mit den Anträgen mit den Drucksachen 17/4797 und 17/6642 bereits zweimal eine Beschlusslage zum Thema Rechtsextremismus herbeigeführt, mit der die Landesregierung aufgefordert ist,

  • die Arbeit des Landes gegen Rechtsextremismus und Rassismus weiter zu stärken
  • das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus weiterzuentwickeln und auszubauen
  • das kommunale Förderprogramm NRWeltoffen auf weitere Kommunen auszuweiten
  • die Handlungsempfehlungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses III zu den Verbrechen des NSU in Nordrhein-Westfalen der 16. Legislaturperiode des Landtags NRW (Drs. 16/14400) vollumfänglich umzusetzen.

Mit dem Beschluss des vorliegenden Antrags bekräftigt der Landtag diese Beschlusslage erneut und entwickelt aus dieser grundsätzlichen Haltung weitere Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

IV. Der Landtag beschließt

Um den unter I. genannten Herausforderungen angemessen begegnen zu können, und damit einen wirksamen Schutz für unsere Demokratie und aller in unserer vielfältigen Gesellschaft lebenden Menschen zu gewährleisten, sind weitere Maßnahmen notwendig. Daher fordert der Landtag die Landesregierung auf:

  1. eine Stelle auf Landesebene einzurichten, die eine juristische Beratung zum Thema Rechtsextremismus für Kommunen, z.B. im Umgang mit rechtsextremen Immobilien oder Konzerten, anbietet.
  2. eine Antidiskriminierungsstelle auf Landesebene einzurichten.
  3. für eine Erfassung von Vorfällen zu den unterschiedlichen Ideologien der Ungleichwertigkeit durch zivilgesellschaftliche Stellen zu sorgen, angelehnt an die Stelle RIAS in Berlin.
  4. eine Dunkelfeldstudie zu Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen durch externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Auftrag zu geben.
  5. ein regelmäßiges wissenschaftliches Monitoring zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Nordrhein-Westfalen einzuführen.
  6. die Stelle der Antisemitismusbeauftragten weiter zu stärken.
  7. einen jährlichen Bericht zu Erscheinungsformen und Entwicklung des Phänomens Antisemitismus einschließlich entsprechender Maßnahmen einzuführen, den die Staatskanzlei in Zusammenarbeit mit der Antisemitismusbeauftragten erstellt.
  8. Fördermittel zur niedrigschwelligen Förderung von Projekten lokaler zivilgesellschaftlicher Initiativen bereitzustellen, die unbürokratisch vergeben werden.
  9. dem Landesnetzwerk gegen Rechtsextremismus eine eigene Geschäftsstelle zur Verfügung zu stellen, um die im Netzwerk vorhandene Expertise stärker für die Arbeit des Landes nutzen zu können.
  10. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass das bereits seit Jahren diskutierte Demokratiefördergesetz eingeführt wird.
  11. Aus- und Fortbildungen von Lehrerinnen und Lehrern zur Demokratiebildung zu verstärken und den Politikunterricht an allen Schulformen zu stärken.
  12. die Netzwerke „Schule ohne Rassismus“ und „Schule der Vielfalt“ weiter zu stärken.
  13. innovative Formate zur Demokratiebildung in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung zu erleichtern.
  14. die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung zu stärken.
  15. einen strukturierten Austausch der Kreispolizeibehörden und der Landesoberbehörden der Polizei zum Umgang mit rechtsextremen Strukturen und zu Fragen des Versammlungsrechts – beispielsweise mit Blick auf Auflagen – einzuführen.
  16. durch verpflichtende Fortbildungen für eine stärkere Sensibilisierung zu den Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften zu sorgen.
  17. den Ermittlungsdruck und das konsequente Vorgehen gegen rechtsextreme und rechtsterroristische Netzwerke zu verstärken.