Landesregierung darf Klimaschutz bei Gebäuden nicht weiter liegen lassen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Wibke Brems 5-23

I. Ausgangslage

Die in den vergangenen Wochen ungewöhnlich stark gestiegenen Preise für fossile Energieträger treffen neben Unternehmen vor allem die Privathaushalte in der beginnenden Heizsaison. Damit zahlen Sie den Preis für eine in den vergangenen Jahren verschlafene Energiewende. Auch wenn die Gründe für die Preisexplosion vielfältig sind: Die Abhängigkeit von Erdgas, Öl und Kohle beim Heizen hätte deutlich schneller reduziert werden können. Eine geringere Nachfrage hätte wiederum den Preisanstieg dämpfen können. Es muss umgehend geprüft werden, wie insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen kurzfristig bei den Heizkosten entlastet werden können, bspw. mit einer temporären Aufstockung der Hartz-IV-oder Wohngeldbezüge. Dafür muss sich die Landesregierung auf Bundesebene einsetzen und gleichzeitig alle landespolitischen Handlungsoptionen prüfen. Gleichzeitig muss die aktuelle Entwicklung ein Weckruf sein, dass der Klimaschutz im Gebäudesektor dringend mehr Fahrt aufnehmen muss. Die Zielsetzungen der Bundes- und Landesregierung, die eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um etwa zwei Drittel bis 2030 (gegenüber 1990) anstreben, werden mit der bisherigen Politik nicht erreicht werden können. Daher müssen die Emissionen ab sofort viel schneller sinken, denn in den vergangenen Jahren herrschte in diesem Sektor weitgehend Stillstand. Umso wichtiger ist es, jetzt konsequent auch den Klimaschutz im Gebäudesektor anzugehen. Denn die 3,9 Millionen Wohngebäude und ca. 580.000 Gebäude aus dem Bereich GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) in Nordrhein-Westfalen verursachen mindestens elf Prozent der Treibhausgase im Land, je nach Definition werden auch deutlich höhere Anteile des Gebäudesektors genannt. Viel CO2 wird durch die rund 1,1 Mio. vorhandenen Ölheizungen erzeugt, der Anteil Erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung stagniert in NRW seit Jahren deutlich unter 20 Prozent. 2019 wurden immer noch 50 Prozent der Neubauten in NRW mit fossilen Heizungsanlagen ausgestattet. Da Heizungen oft erst nach 20 oder 25 Jahren ausgetauscht werden, ist dies mit dem Ziel der Klimaneutralität innerhalb der nächsten 20 Jahre nicht vereinbar. Dies zeigt, dass es dringend Anforderungen an die Energieversorgung von neuen Gebäuden geben muss, die der Herausforderung Klimaneutralität gerecht werden und eine erneute Modernisierung in wenigen Jahren vermeiden. Neubauten müssen deshalb ab 2025 zu 100 Prozent mit Erneuerbaren beheizt werden.

Die Hauptprobleme in der großen Mehrheit der Bestandsgebäude sind, neben Wärmeversorgung auf Basis fossiler Energieträger, die schlechte Wärmedämmung und die zu niedrige Sanierungsquote. Die Sanierungsquote muss auf mindestens drei Prozent erhöht werden, damit alle Gebäude bis 2045 saniert werden können. 62 Prozent der Wohngebäude in Deutschland wurden vor 1979 und damit vor der 1. Wärmeschutzverordnung gebaut. Davon sind noch immer drei Viertel ungedämmt. Die im Gebäudeenergiegesetz des Bundes vorgesehene Orientierung am KfW70-Standard für Neubauten reicht bei weitem nicht aus, die Klimaziele zu erreichen und dem Klimawandel zu begegnen, geschweige denn die Probleme im Gebäudebestand wirksam anzugehen. Denn verbindliche Energieeffizienzanforderungen für Bestandsgebäude sieht das Gesetz nicht vor. Notwendig wären für Neubauten mindestens KfW40 und als Zielniveau für die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden die Anforderungen des KfW-Effizienzhauses 55. Die Landesregierung muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass das Gebäudeenergiegesetz (GEG) entsprechend angepasst wird.

Klimaschutz geht nur sozial gerecht, daher muss die Landesregierung sich für wirksamen Schutz von Mieterinnen und Mietern vor hohen Modernisierungsumlagen einsetzen. Mit einer stärkeren Förderung durch den Bund wäre durch das Drittelmodell in der Regel eine warmmietenneutrale energetische Sanierungen möglich.

Auch das Land könnte wesentlich mehr dazu beitragen, dass sowohl im Neubau als auch im Bestand konsequenter Klimaschutz umgesetzt wird. Eine Möglichkeit böten verbindliche Vorgaben zur Einhaltung von energetischen Standards in der Wohnraumförderung und einer umfangreichen Modernisierungsförderung, die soziale Härten durch die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen vermeidet. Nach dem Vorbild Baden-Württembergs oder Schleswig-Holsteins sollten auch in NRW in Zukunft Mindestquoten für Erneuerbare Energien bei neuen Heizungsanlagen gelten, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Landesförderprogramme wie progres.NRW dürfen nur noch solche Gebäude und Maßnahmen fördern, die wirksamen Klimaschutz gewährleisten. So sollte etwa die Förderung nicht mehr für den Drei-Liter-Haus-Standard vergeben, sondern an den KfW40-Standard gebunden werden. Für energetische Sanierungen im Bestand sind individuelle Sanierungsfahrpläne der Startpunkt, um sich vor Beginn der Arbeiten einen Überblick über den Stand des Gebäudes, sinnvolle Sanierungsmaßnahmen und ihre zeitliche Abfolge zu verschaffen. Das Land sollte die Fördersätze des Bundes aufstocken, um Eigentümerinnen und Eigentümern den Einstieg zu erleichtern und eine sinnvolle Abfolge von Sanierungsmaßnahmen sicherzustellen. Für die Beantragung von Landesfördermitteln für die energetische Sanierung oder die Energieversorgung von Gebäuden sollte die Vorlage eines solchen Sanierungsfahrplans verpflichtend werden.

Eine große Quelle für Treibhausgase sind die verwendeten Baustoffe. Die als „Graue Energie“ bezeichnete Energie für die Herstellung von Baustoffen ist ein relevanter Faktor auf dem Weg zur Klimaneutralität. Dabei spielen insbesondere zwei Problemfelder eine große Rolle: Zum einen die Herstellung von Beton und Zement, die extrem energieintensiv sind, sowie der Abbau mineralischer Baustoffe, der zur Vernichtung von Acker-, Wald- und Wiesenflächen beiträgt. NRW verbraucht jährlich etwa 350 Mio. Tonnen nichtorganische Rohstoffe, der Großteil davon sind nichtmetallische Rohstoffe (Steine, Kies, Sand, Kalkstein, Ton etc.) für die Bauindustrie. Hinzu kommt, dass Recycling von Baustoffen noch völlig unterentwickelt ist. Rund 63 Prozent des Gesamtabfallaufkommens sind Bauschutt, der in der Regel deponiert oder als Füllmaterial genutzt wird. Noch nicht einmal zehn Prozent davon werden wieder als Baustoff genutzt, hier wird ein großes Potential an Möglichkeiten zur CO2-Einsparung einfach liegengelassen.

Auch das Bauen mit Holz kann erheblich zur CO2-Reduktion mit beitragen, vor allem weil sich die Bautechnik in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt hat. So werden mittlerweile sogar Hochhäuser fast komplett aus Holz errichtet. Auch spielen Holz und andere nachwachsende Rohstoffe eine große Rolle bei der Entwicklung und Herstellung CO2-neutraler Dämm- und anderer Baustoffe. Doch ist Holz mittlerweile sogar im sehr waldreichen Nordrhein-Westfalen ein knappes Gut und entsprechend teuer. Gründe hierfür sind das Fehlen einer sinnvollen Holzwirtschaftsstrategie im Land und der Klimawandel, der in den Wäldern in NRW bereits erhebliche Schäden verursacht hat. Insbesondere im kommunalen Bereich gibt es weiterhin Hemmnisse für die Errichtung von Gebäuden aus Holz. Durch kürzere Abschreibungszeiten gegenüber anderen Baustoffen sind Gebäude aus Holz für die Kommunen teurer. Die NKF-Rahmentabelle muss daher so angepasst werden, dass Holz gegenüber konventionellen Baustoffen nicht länger durch kürzere Abschreibungszeiten benachteiligt wird.

Um Klimaneutralität im Gebäudebestand überhaupt möglich zu machen, ist die notwendige Energieerzeugung für die einzelnen Gebäude zu betrachten. Denn der Austausch einer fossilen Heizungsanlage beispielsweise gegen eine elektrische Wärmepumpe ist unter Klimaschutzgesichtspunkten nur dann ein Gewinn, wenn der Strom dafür auch klimaneutral erzeugt wird. Doch nach wie vor bleiben die großen Potentiale für Solarstrom auf den Dächern ungenutzt. Denn bürokratische Hindernisse wurden nicht abgebaut und die für einen konsequenten Ausbau erforderlichen Regelungen und Förderungen wurden nicht oder nur sehr halbherzig angegangen. Hier muss das Land deutlich mehr tun und beispielsweise die technisch nicht notwendigen Abstandsgebote bei Solaranlagen auf Reihen- oder Mehrfamilienhäusern aufgeben. Neuen Schwung in den Photovoltaikausbau könnte neben der Neuauflage eines Landesförderprogramms für Mieterstromprojekte auch eine intelligent ausgestaltete Erweiterung der Solarpflicht bringen. Öffentliche Liegenschaften, Gewerbeimmobilien und Neubauten sollten dabei zuerst in den Blick genommen werden, bevor die Pflicht im Falle genehmigungspflichtiger Umbauten auch auf Bestandsgebäude ausgedehnt wird. Das Ziel muss es sein, schnellstmöglich alle geeigneten Dachflächen für die Strom- und/oder Wärmeerzeugung zu nutzen.

Die Kommunen sind maßgeblich für das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestandes. Denn gerade in der gemeinschaftlichen Wärmeversorgung lassen sich bei sorgfältiger Planung vor Ort viele Synergien erreichen und damit entscheidend zu einer Wärmewende beitragen. Das Land muss die Voraussetzungen schaffen, damit kommunale Wärmeplanung inkl. Investitionsplanung flächendeckend umgesetzt wird und öffentliche sowie private Investoren und Immobilieneigentümerinnen entsprechend einbezogen und beraten werden.

Öffentliche Liegenschaften müssen endlich die oft zitierte Vorbildfunktion wahrnehmen und beim Klimaschutz voran gehen sowie beispielgebend für eine adäquate Klimafolgenanpassung sein. Für sie müssen im Neubau umgehend höchste Anforderungen an Energieeffizienz und die Versorgung mit Erneuerbaren Energien gelten. Um das Ziel der klimaneutralen Landesverwaltung bis 2030 zu erreichen, müssen bis dahin alle Gebäude energetisch saniert werden. Die Potenziale für die Solarenergienutzung auf den Gebäuden des Landes können noch deutlich schneller genutzt werden, als bisher von der Landesregierung geplant.

Was für das Land gilt, muss auch für die kommunalen Gebäude gelten. Sie müssen mit Hochdruck energetische saniert und ihre Energieversorgung auf Erneuerbare Energien umgestellt werden. Dafür muss das Land die Investitionsmittel massiv erhöhen.

Auch für die Anpassung an die Klimafolgen, wie häufiger und länger anhaltende Hitzeperioden oder häufiger auftretende Starkregenereignisse, ist der Gebäudesektor schlecht aufgestellt. So verfügen die allerwenigsten Gebäude über eine Dach- oder Fassadenbegrünung, die nicht nur einen kühlenden Effekt auf das Mikroklima hat, sondern auch Wasser aufnehmen und speichern kann. Freiflächen, die dringend für die Versickerung von Starkregen und für die Begrünung benötigt werden, werden nach wie vor für Parkplätze versiegelt oder in Schottergärten umgewandelt. Durch die überzogenen Anforderungen an die Zahl von nachzuweisenden Stellplätzen und dem fehlenden Verbot von Schottergärten setzt das Land hier die falschen Signale.

II. Der Landtag stellt fest:

  • Es gibt keinerlei erkennbare Strategie der Landesregierung, wie sie im Bereich Bauen und Wohnen die Klimaziele einhalten und dem Klimawandel durch einen klimaneutralen und klimafolgenresilienten Gebäudebestand begegnen will.
  • Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben des Landes reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaziele im Gebäudebereich zu erreichen.
  • Die erst kürzlich erfolgte Novellierung der Landesbauordnung hat entscheidende Chancen verstreichen lassen, mehr für den Klimaschutz zu tun, wie beispielsweise die Einführung einer Solarpflicht für alle geeigneten Dächer, den Verzicht auf Stellplätze oder das ausdrückliche Verbot von Schottergärten.
  • In vielen Bereichen, die mittelbar mit dem Bereich Bauen zu tun haben, wie beispielsweise in der Abfallwirtschaft/Baustoffrecycling oder in der Holzwirtschaft, liegt viel Potential für den Klimaschutz, das bisher von der Landesregierung nicht systematisch erschlossen wird.
  • Die Wohnraumförderprogramme geben bislang keine klimaschutzrelevanten Standards vor, das Modernisierungsförderprogramm ist zwar sinnvoll, aber nicht weitreichend genug.
  • Die Kommunen sind bislang nicht angehalten, eine kommunale Wärmeplanung vorzunehmen, um die notwendige Wärmewende zu unterstützen.

III. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit der Gebäudesektor in Nordrhein-Westfalen schnellstmöglich klimaneutral werden kann. Dabei sollen vorrangig u.a. folgende Maßnahmen berücksichtigt und umgesetzt werden:

  1. Die Wohnraumförderprogramme geben auch verbindliche energetische Standards im Neubau vor. Die Modernisierungsförderung wird ausgeweitet und die Förderung der energetischen Sanierung aus Landesmitteln an verbindliche energetische Standards gekoppelt.
  2. Es werden landesrechtliche Vorgaben für eine umfassende Solarpflicht sowie Dach- und Fassadenbegrünung gemacht, insbesondere werden kurzfristig bürokratische Hemmnisse wie die Abstandsregelungen für Solaranlagen abgeschafft.
  3. Freiflächen zwischen Gebäuden werden weitgehend entsiegelt und begrünt, Stellplatzvorgaben verringert und Schottergärten nicht länger geduldet.
  4. Für die Verwendung von recycelten Baustoffen und -materialien wird eine verbindliche und angemessen steigende Beimischungsquote vorgegeben und die entsprechenden Voraussetzungen für die Abfallwirtschaft geschaffen.
  5. Der Raubbau an nicht erneuerbaren Bodenschätzen für die Bauindustrie wird auch mithilfe der Landesplanung kurzfristig wirksam eingedämmt.
  6. Es wird eine Strategie für eine nachhaltige und klimaresiliente Waldwirtschaft in NRW entwickelt. Dabei wird auch sichergestellt, dass Holz und andere erneuerbare Baustoffe aus heimischen Beständen zukünftig für die NRW-Bauwirtschaft zur Verfügung stehen.
  7. Die Förderquoten für die Erstellung von individuellen Sanierungsfahrplänen mit Landesmitteln wird auf bis zu 100 Prozent angehoben und die Vorlage eines solchen Sanierungsfahrplans wird zur Voraussetzung für Landesförderungen im Bereich energetischer Sanierung und Wärmeversorgung von Gebäuden.
  8. Bis 2030 werden alle Gebäude des Landes energetisch saniert, um das Ziel der klimaneutralen Landesverwaltung erreichen zu können. Die Ausstattung mit Photovoltaikanlagen auf allen geeigneten Dächern soll innerhalb weniger Jahre abgeschlossen sein.
  9. Die Kommunen werden zu einer verbindlichen kommunalen Wärmeplanung verpflichtet und der Konnexität entsprechend gefördert.
  10. Den Kommunen werden umfangreiche Investitionsmittel für die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude zur Verfügung gestellt und diese an die Umsetzung höchster energetischer Standards gekoppelt. Außerdem wird in der NKF-Rahmentabelle Holz anderen Baustoffen angeglichen.