Gesetz zur Änderung des Landesrichter- und Staatsanwältegesetzes – LRiStaG

Gesetzentwurf der GRÜNEN im Landtag

Portrait Josefine Paul

A Problem

Die aufgedeckten Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche insbesondere in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster haben in ihrer Art und ihrem Ausmaß die gesamte Bevölkerung in Deutschland sowie in NRW erschüttert. Diese Fälle und die diesbezüglich immer wieder neu erzielten Erkenntnisse haben Forderungen nach verstärkter Achtung des Kindeswohls und Kinderschutzes in der Gesamtgesellschaft hervorgerufen. Zum besseren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexualisierter und sonstiger Gewalt sowie zur Verstärkung der Berücksichtigung des Kindeswohls in Verfahren, die Auswirkungen auf das Leben der Kinder haben können oder bei denen Kinder betroffen sind, ist ein Gesamtkonzept erforderlich, auch in den Bereichen Strafverfolgung und Prävention.

Zur Stärkung der Prävention in der Rechtspflege sind für Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte sowie die Jugendstaatsanwältinnen und -anwälte neben den juristischen Kenntnissen spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. Das gilt ebenfalls für Staatsanwältinnen und -anwälte, die regelmäßig in Verfahren vor Jugendgerichten tätig sind. In diesem Zusammenhang ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in der Gesprächs- und Verhandlungsführung insbesondere mit Minderjährigen, der Entwicklungspsychologie, der Erwachsenen- wie Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Pädagogik und Kenntnisse des Jugendhilfesystems von großer Bedeutung. Darüber hinaus soll hier auch die Wichtigkeit des Erwerbs und Erhalts von vertieften Kenntnissen der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere im Hinblick auf den Vorrang des Kindeswohls (Art. 3 der UN-KRK) und das Anhörungsrecht (Art 12 UN-KRK) betont werden.

Diese konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten werden weder im Rahmen des juristischen Studiums noch des juristischen Vorbereitungsdiensts vermittelt. Die Einführung der allgemeinen Fortbildungspflicht in § 13 S.1 LRiStaG NRW für alle Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und -anwälte in NRW schreibt keine spezifischen Bereiche zur Fortbildung fest. Sie reicht daher nicht aus, um die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in den Jugend- und Familiengerichten sicherzustellen. Zudem werden im Rahmen der verschiedenen vorhandenen Fortbildungsprogramme für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und -anwälte lediglich vereinzelte Fortbildungen in den oben genannten Bereichen angeboten. Die Auswahl der Fortbildungsveranstaltungen bleibt zudem freiwillig. Wiederkehrende aufeinander aufbauende Fortbildungsveranstaltungen in den oben genannten Bereichen werden nicht angeboten.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 21.10.2020 den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen. Dabei soll ein besserer Schutz von Kindern und Jugendlichen durch schärfere Strafen, effektive Strafverfolgung, Verbesserungen bei der Prävention und Verankerung von Qualifikationsanforderungen in der Justiz gewährleistet werden. Zur Verbesserung der Prävention in der Rechtspflege sollen insbesondere für Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte sowie Jugendstaatsanwältinnen und -anwälte weitere Qualifikationen in der Psychologie, Pädagogik, Kommunikation mit Kindern und des Kinder- und Jugendhilferechts gesetzlich festgeschrieben werden. Diese Qualifikationen sollen als zusätzliche spezifische Eingangsqualifikation und besondere Qualifikationsanforderungen vor der Ausübung richterlicher Tätigkeit in den

Familien- und Jugendgerichten durch entsprechende Änderung des Gerichtverfassungsgesetzes (GVG) und Jugendgerichtsgesetzes (JGG) eingeführt werden. Entsprechende Qualifikationen werden durch Änderung des JGG auch für Jugendstaatsanwältinnen und -anwälte eingeführt.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz betont die Wichtigkeit und die Unerlässlichkeit der Fortbildung für die Bewältigung des richterlichen Berufsalltags. Dies gilt in besonderem Maße auch und gerade für den besonders sensiblen Bereich des Familienrechts und Jugendstrafrechts. Durch die geplanten Änderungen des GVG und JGG werden jedoch nur besondere Eingangsqualifikationen in das jeweilige Gesetz eingeführt. Die konkrete Gestaltung einer Fortbildungspflicht wird durch die angekündigte Gesetzesänderung nicht berührt und soll weiterhin auf Landesebene geregelt werden.

Dementsprechend bleibt auf Landesebene ein Handlungsbedarf hinsichtlich der Einführung einer konkreten Fortbildungspflicht für Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte sowie Staatsanwältinnen und -anwälte, die regelmäßig in Verfahren vor den Jugendgerichten regelmäßig tätig sind. Diese soll neben der allgemeinen Fortbildungspflicht nach § 13 S. 1 LRiStaG NRW gesetzlich festgeschrieben werden. Eine auf besondere Qualifikationsanforderungen bezogene Fortbildungspflicht für Richterinnen und Richter muss allerdings unter Wahrung der rechtlichen Unabhängigkeit erfolgen. Dies betrifft nicht nur die Gestaltung der Inhalte der Fortbildungsveranstaltungen. Vielmehr müssen die Richterinnen und Richter zwecks der Teilnahme an der jeweiligen Fortbildungsveranstaltung von der Erfüllung ihres Berufsalltags derart freigestellt werden, sodass eine unzulässige Einflussnahmen auf die Entscheidungsfindung durch zeitlichen Druck vermieden wird. Dafür ist der Ausbau von Personalkapazitäten notwendig.

Die Einführung einer allgemeinen oder konkreten Fortbildungspflicht korrespondiert ihrerseits mit einer Pflicht des Dienstherrn diese sachangemessen zu ermöglichen. Sie erfordert daher die Aufnahme eines Rechts auf die notwendige Fortbildung in das Gesetz. § 13 LRiStaG soll dementsprechend erweitert werden. Hiernach sollen dezentralisierte und familiengerechte Fortbildungsveranstaltungen, einschließlich E-Learning Einheiten, kostenfrei angeboten werden. Dabei geht die Tragweite des Rechts auf Fortbildung in sachlicher und persönlicher Hinsicht über die der Pflicht zur Fortbildung hinaus und umfasst weitere Maßnahmen, die die Bewältigung der Aufgaben der richterlichen Tätigkeit für alle Richterinnen und Richter unterstützen und fördern. Entsprechendes gilt für die Staatsanwältinnen und -anwälte.

In diesem Zusammenhang sollen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auch die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeit und ihr Handeln im Arbeitskontext im Rahmen geeigneter Supervisions- und Intervisionsangebote zu reflektieren. Dies trägt zum einen zur Förderung der richterlichen Kompetenz bei und kann so zur Qualitätsverbesserung führen. Supervisions- und Intervisionsangebote tragen zum anderen zu einer persönlichen Entlastung der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei, die dauernd unter einer hohen Arbeitsbelastung und Erwartungshaltung stehen. Belastungen können sich insbesondere durch das Sichten von Beweismaterial, das z.B. sexualisierte Gewalt dokumentiert, im Rahmen von Ermittlungen oder durch prägende Verfahrensabläufe oder Gerichtsentscheidungen ergeben. Daher müssen Supervisions- und Intervisionsangebote gefördert und bereits existierende Programme in der Justiz in NRW ausgebaut werden.

B Lösung

Ein Recht aller Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und -anwälte zur Fortbildung wird in § 13 LRiStaG NRW aufgenommen. Darüber hinaus wird in § 13 LRiStaG NRW eine Pflicht der Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte zur Fortbildung im Hinblick auf wichtige und notwendige Qualifikationen in den oben genannten Bereichen sowie eine entsprechende Pflicht für Staatsanwältinnen und -anwälte, die regelmäßig in Verfahren vor den Jugendgerichten tätig sind, aufgenommen. Die inhaltliche Konkretisierung der Pflicht durch z.B. Fortbildungspläne und -programme zu den für die übertragenen Dienstposten notwendigen Fachkenntnissen sowie methodischer und sozialer Kompetenz ist Sache des zuständigen Dienstherrn. Die inhaltliche Konkretisierung der Fortbildungsprogramme für Richterinnen und Richter muss wie bislang unter Achtung der richterlichen Unabhängigkeit gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang werden dezentrale, bedarfs- und familiengerechte Fortbildungsprogramme kostenfrei angeboten.

Der Dienstherr wird zudem verpflichtet, für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte Intervision und Supervision kalenderjährlich kostenfrei anzubieten.

C       Alternativen
Keine.

D Kosten

Im Einzelnen noch nicht zu quantifizierende Mehrkosten bei bedarfsgerechtem Fortbildungsangebot. Durch E-Learning können sich die Kosten bzw. die Mehrkosten der einzuführenden Fortbildungsangebote begrenzen lassen; solche Angebote lassen sich angesichts geringeren Zeit- und wegfallenden Reiseaufwandes durch entsprechende Freistellung mit den Anforderungen der Justizorganisation verbinden. Kooperationen mit der Fortbildung für die Rechtsanwaltschaft und Sachverständige sollten angestrebt, gegenseitige Beteiligungen sollten ermöglicht werden.

E       Zuständigkeit

Zuständig innerhalb der Landesregierung ist das Ministerium der Justiz.

F       Befristung

Eine Befristung ist nicht vorgesehen.