Den Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe 2021 in Nordrhein-Westfalen nachhaltig umsetzen und den klimaangepassten Umbau einleiten!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Wibke Brems 5-23

I. Der Klimawandel ist Alltag

Die Überschwemmungen im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und angrenzenden europäischen Ländern haben deutlich gezeigt, dass der Klimawandel und damit verbundene Extremwetterereignisse längst auch in Deutschland angekommen sind: Über 180 Tote, zahlreiche zerstörte Dörfer, Häuser und Verkehrsinfrastruktur.

Die Anstrengungen zur Eindämmung der globalen Erwärmung reichen nicht aus. In den Kommunen erhalten Klimaschutz und Klimaanpassung im Konflikt widerstreitender Interessen, mangelnder Personalressourcen und vielfach schwieriger Haushaltslagen noch zu oft nicht die notwendige Priorität.

Für den Wiederaufbau der im Juli betroffenen Regionen haben Bundestag und Bundesrat ein Hilfspaket in Höhe von 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Für Nordrhein-Westfalen stehen Mittel in Höhe von rund 12,3 Milliarden Euro aus dem Aufbaufonds 2021 bereit. Die Wiederaufbauarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen. Betroffene Privatpersonen und Unternehmen warten immer noch auf die Bewilligung ihrer Anträge und die Auszahlung der Mittel. Betroffene Kommunen arbeiten an Wiederaufbauplänen und bis die Infrastrukturen vollständig wieder hergestellt sind, werden noch Jahre vergehen.

Manche Schäden konnten bereits beseitigt werden, viele Menschen haben in Eigenregie den Wiederaufbau in die Hand genommen. Andere haben bereits Pläne gemacht und warten auf Material und Handwerkerinnen und Handwerker. Nach inzwischen über einem halben Jahr nach der Hochwasserkatastrophe kommen neue Meldungen über weitere Gebäudeschäden hinzu, die anfangs nicht absehbar waren. Hinzu kommt, dass die Gebäude durch die Schäden „verwundbarer“ geworden sind. Bei jedem neuen Starkregen bereitet ein beschädigtes Dach den Menschen Sorgen. Klar ist, dass der akute Wiederaufbau allein mehr als fünf Jahre in Anspruch nehmen wird. Doch es braucht auch neue Konzepte für die Zukunft. Ein hochwassergerechter Umbau der Region wird sicher zwei Dekaden benötigen.

In der Zeit von 2010 bis 2017 hat die rot-grüne Landesregierung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Nordrhein-Westfalen besser gegen Extremwetterereignisse zu wappnen. So wurden erstmals die Erstellung von Hochwassergefahren- und -risikokarten sowie von Hochwasserrisikomanagementplänen umgesetzt und mehr Personal im Hochwasserschutz eingesetzt. Die Klimaanpassung ist seither gesetzlich verankert, zunächst im Klimaschutzgesetz und seit 2021 abgeschwächt im Klimaanpassungsgesetz. Hier sollten die Maßstäbe für den Wiederaufbau und den nachhaltigen Umbau ansetzen.

Gerade unsere Städte und Gemeinden spielen bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen eine entscheidende Rolle. Deshalb sollten insbesondere kommunale Planungen und Konzepte zu Klimaschutz und Klimaanpassung Teil der Daseinsvorsorge sein und nicht nur eine Empfehlung des Landes. Denn in den Kommunen wird der Klimaschutz

umgesetzt. Dort erfolgt zum Beispiel mit Hitzeaktionsplänen und Frischluftschneisenkonzepten die Anpassung an den Klimawandel. Teil dieser Konzepte ist auch die Verknüpfung von Abwasser-, Regenwasser- und Stadtplanung wie sie bei Schwammstädten umgesetzt wird. Für all diese Vorhaben brauchen die Kommunen deutlich mehr Geld und Personal. Dafür werden in Nordrhein-Westfalen pro Jahr mehrere hundert Millionen Euro zusätzlich notwendig sein.

Die schwarz-gelbe Landesregierung jedoch hat in der aktuellen Legislatur wertvolle Zeit verschwendet. Statt die begonnenen Anstrengungen auszubauen und zu intensivieren, hat sie viele Punkte wie die Fortschritte im Landeswassergesetz oder den Grundsatz der Reduktion des Flächenverbrauches im Landesentwicklungsplan – ihrem Credo der Deregulierung und sogenannten Entfesselungspolitik folgend – wieder rückabgewickelt.

Jahrelang haben die Fraktionen von CDU und FDP Hochwasserschutz nahezu ausschließlich als Erhöhung und Sicherung von Deichmaßnahmen verstanden – und nicht als ganzheitlichen Hochwasserschutz auch in der Fläche. Die Planung und der Bau von Hochwasserrückhalteräumen und Deichrückverlegungsmaßnahmen am Niederrhein, die einen wichtigen Beitrag zu überregionalen und internationalen Hochwasserschutz darstellen, ist unter schwarz-gelb ins Stocken geraten. 2018 wurde die Überarbeitung des Starkregen-Konzeptes angekündigt. Diese ist jedoch bis heute nicht erfolgt. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Norwich Rüße wurde nur noch eine Überprüfung angekündigt, die bisher nicht umgesetzt wurde.1 Zudem wurden die sogenannten vertieften Prüfungen von Stauanlagen an vielen Talsperren in NRW nicht fristgerecht umgesetzt.2 Insgesamt gehört das Talsperrenmanagement daher dringend auf den Prüfstand. Bei der Steinbachtalsperre handelt sich zum Beispiel um eine Anlage, die wie viele andere bislang nicht für den Hochwasserschutz vorgesehen war. Neue Gutachten sind notwendig, um zu klären, welche Maßnahmen nötig sind, um einen Dammbruch verhindern zu können. Geklärt werden muss auch, welche Talsperren nur noch als großes Regenrückhaltebecken genutzt werden sollen. Den großen Ankündigungen im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2017, z. B. den Hochwasserschutz gerade auch an kleinen Gewässern zu verbessern, sind keine Taten gefolgt.

Die Versäumnisse der vergangenen Jahre sind dramatisch, da Klimaschutz, Klimaanpassung und präventiver Hochwasserschutz Daueraufgaben für die nächsten Jahrzehnte sind. Es ist klar, dass solche immensen Schäden durch Starkregen- und Hochwasserereignisse wie im Juli 2021 nie vollständig verhindert werden können. Nun gilt es, Lehren aus der Katastrophe zu ziehen und den Wiederaufbau an den Klimawandel anzupassen und den nachhaltigen Umbau einzuleiten. Die Art und Weise, wie wir bauen, ist ausschlaggebend dafür, welche Schäden in welchem Ausmaß in Zukunft entstehen bzw. verhindert werden können. Es bedarf eines Zusammenspiels von Klimaschutz und -anpassung, Hochwasserschutz, nachhaltiger Flächennutzung und Katastrophenschutz.

Statt immer mehr Ausnahmegenehmigungen in Risiko- oder Überschwemmungsgebieten zu erteilen, sollte der lange Katalog an Ausnahmen im Wasserhaushaltsgesetz wieder zurückgenommen und dem Schutz wieder der Vorrang zustehen, wie es auch schon im Bund im neuen Koalitionsvertrag vereinbart wurde.3 Die Einschränkung des Flächenverbrauchs, ein konsequenter Regenrückhalt in Hochwasserentstehungsgebieten, eine nachhaltige Waldbewirtschaftung, die Renaturierung, eine wassersensible Planung und technische Maßnahmen sowie ein modernes Talsperrenmanagement sind wichtige Instrumente, um in Zukunft die Auswirkungen von Katastrophen durch Extremwetterereignisse abzumildern oder zu verhindern.

Mit Blick auf die weitere Risikovorsorge und vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung selbst von einem bisher nicht prognostizierbaren Hochwasserrisiko und entsprechenden Regenmengen (HQ10.000) spricht, ist es nötig, alle bestehenden Genehmigungen, insbesondere solche mit wasserrechtlichem Bezug, für noch nicht begonnene Bebauungen in Hochwasserrisikogebieten sowie für Abgrabungen auf ihr Hochwasserrisikopotenzial zu überprüfen und wo notwendig, zu überprüfen, ob Genehmigungen widerrufen werden müssen. Historisch bedingt liegen an vielen Orten Industriebetriebe in direkter Lage zu Flüssen. Hier gilt es zukunftsfähige Konzepte zu entwerfen, die den Fortbestand der Unternehmen hochwassergerecht am Standort oder auch auf anderen Flächen in den Blick nimmt.

Das Umweltministerium hat Ende Januar 2022 einen Arbeitsplan zum Hochwasserschutz veröffentlicht. Auch dort wird festgestellt, dass bisher „immer nur der Mindestbereich“ möglicher Überschwemmungsgebiete festgesetzt wird. Vorgeschlagen wird ein „Klimazuschlag“ bei der Berechnung des Abflusses – doch es bleibt bei einem Prüfauftrag.4

II. Nachhaltigkeit als Maßstab, kein Bau in Überschwemmungsgebieten

Während in Rheinland-Pfalz explizit der „nachhaltige Wiederaufbau“5 gefördert wird, spart die Landesregierung Nordrhein-Westfalen diesen Hinweis in der Förderrichtlinie aus und spricht in ihrer Förderrichtlinie nur vom Wiederaufbau im Allgemeinen.6

Die unterschiedliche Herangehensweise wird insbesondere an dem Punkt deutlich, wo es um den Wiederaufbau in Überschwemmungsgebieten geht:

  1. Rheinland-Pfalz macht in ihrer Verwaltungsvorschrift7 deutlich, dass der Wiederaufbau ebendort im Grundsatz nicht gefördert wird und der nachhaltige Wiederaufbau an anderer Stelle gefördert wird:
  • „In festgesetzten Überschwemmungsgebieten werden Maßnahmen des Wiederaufbaus an oder von Gebäuden nicht gefördert, soweit das Gebäude nach dem Erlass der Rechtsverordnung zur Festsetzung oder nach der Veröffentlichung der Karten zur vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebiets errichtet wurde, es sei denn, es handelte sich dabei um Gebäude im Rahmen infrastruktureller Einrichtungen nach Nummer 5.1.2 Buchst. c, d und e, deren Lage im Überschwemmungsgebiet unabweisbar ist, oder um einen städtebaulich erwünschten Lückenschluss innerhalb historisch gewachsener Gemeindegebiete.“
  • „Bauliche Maßnahmen sind so auszuführen, dass Schäden bei einem erneuten Starkregen- und Hochwasserereignis reduziert oder vermieden werden. Ist wahrscheinlich, dass ein zukünftiges Starkregen- und Hochwasserereignis wiederkehrend erhebliche Schäden verursacht, können auch Maßnahmen zum nachhaltigen Wiederaufbau an anderer Stelle gefördert werden.“
  1. In Nordrhein-Westfalens Förderrichtlinie8 hingegen wird auf die Möglichkeiten des Bauens in Überschwemmungsgebieten hingewiesen:
  • „Förderfähig sind bis zur Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens auch Maßnahmen zur Wiederherstellung von baulichen Anlagen, betrieblichen Einrichtungen oder Infrastruktureinrichtungen, wenn sie im Hinblick auf ihre Art, ihre Lage oder ihren Umfang in einer dem jeweiligen Hochwasser- und Überschwemmungsrisiko angepassten Weise nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zur Vermeidung künftiger Schäden wiedererrichtet werden.“
  • „Bauliche Maßnahmen sind so auszuführen, dass Schäden bei einem erneuten Hochwasserereignis reduziert oder vermieden werden. Ist wahrscheinlich, dass ein zukünftiges Hochwasser wiederkehrend erhebliche Schäden verursacht, werden auch Maßnahmen zum Wiederaufbau an anderer Stelle gefördert (…).“

Hinzu kommt, dass NRW eine Handlungsanleitung herausgegeben hat, die deutlich den Wiederaufbau an Ort und Stelle in den Fokus rückt9 :

„Vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Absatz 1 GG wird eine daran orientierte Auslegung im Grundsatz zu einem Anspruch des Einzelnen auf Wiederaufbau zerstörter Gebäude, die sich bereits seit Längerem am Standort befanden, führen, auch wenn dieser sich dabei erneut der Hochwassergefahr aussetzt. (…)“

Doch den Anforderungen des Klimaschutzes wird das Vorgehen in Nordrhein-Westfalen damit nicht gerecht. Es gilt die Festsetzungen von Überschwemmungsgebieten zu prüfen und den Wiederaufbau an diesen Stellen zu vermeiden. Hierfür braucht es Einzellösungen. Innenstädte lassen sich nicht verlegen, aber dort wo Eigentümerinnen und Eigentümer offen sind und die Kommunen Ersatzflächen suchen, braucht es Unterstützung von Seiten der Landesplanung.

III. Das Land muss Unterstützung liefern

Kommunen, Unternehmen und Privatleute benötigen fachliche und finanzielle Unterstützung durch das Land. Beim Hochwasserschutz für morgen muss die Landesregierung insgesamt mehr Verantwortung übernehmen und darf Kreise und Kommunen nicht länger alleine lassen.

Die Unterstützung der Kommunen durch Freiwillige der Bundesbehörden10 ist begrüßenswert. Auch das Land selbst sollte vom Hochwasser stark betroffenen Kommunen personell unterstützen. Im Rahmen der erhöhten Fluchtzuwanderung wurde Personal mittels Abordnungen sowie Zuschlägen angeworben, ihre Dienststelle zeitweise zu verlassen, um Kommunen in Not zu helfen. Eine Vorlage aus dem Jahr 2015 zeigt auf, dass die Bereitschaft in den Dienststellen zum Einsatz groß war. Es wurden in dem Jahr über aktive Beschäftigte hinaus auch Pensionäre angefragt und vermittelt.11 Aktuell sind die Kommunen vor der Herausforderung gestellt, einen gesamten Wiederaufbauplan für ihre Kommune zu erstellen anstatt vorab einzelne Maßnahmen beantragen zu können. Das bindet massiv personelle Ressourcen vor Ort.

Nach Angaben aus einem Bericht für den Fachausschuss sind bis zum 1. Februar 2022 landesweit knapp 12.500 Anträge von Privathaushalten und Unternehmen der Wohnungswirtschaft auf Wiederaufbauhilfe gestellt worden. Davon waren gut 11.0000 Anträge im Bewilligungsprozess.12 Die Bezirksregierung räumte bereits Probleme bei Wiederaufbaugeldern ein.13 Die Förderbedingungen in NRW werden immer wieder als zu bürokratisch beschrieben, die Auszahlung verläuft schleppend und die Hängepartie für Privatleute und Unternehmen geht weiter.

In den Berichten des Ministeriums für den AHKBW sind viele Stellenbesetzungen in den Ministerien für den Wiederaufbau angekündigt. Doch die Mehrzahl der Ausschreibungsverfahren laufen noch und eine zeitnahe Besetzung ist damit ausgeschlossen.14 Nach dem Ausscheiden des Wiederaufbaubeauftragten Dr. Jaeckel gibt es aktuell keine zentrale Anlaufstelle im Land. Aus Gesprächen mit Betroffenen wird klar, dass damit eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit weggefallen ist. Notwendig ist es nun, schnellstens Personal mit (zeitweisen) Abordnungen aus anderen Behörden zu gewinnen und den Einsatz für den Wiederaufbau durch Zulagen attraktiver zu gestalten.

Teil der Unterstützung muss auch sein, den langfristigen Umbau der Region bereits beim akuten Wiederaufbau in den Blick zu nehmen. Wenn Geschädigte höhere Anforderungen als HQ 100 umsetzen wollen oder andere Standards verbessern wollen (Kitaerweiterungen, Ersatz von Containerbauten oder Umgestaltung von Straßen) muss die Finanzierung der Differenzkosten ggf. mit anderen Fördermitteln vereinfacht werden.

Für akute und langfristige Planungen muss eine Moderation durch das Land erfolgen. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, der im Gegenstromprinzip mit den Kommunen und der Zivilgesellschaft gestaltet werden muss.

IV. Energieberatung in NRW auf dem Nullpunkt

Unabhängig von den Fragen der Personaldecke in den verschiedenen Ebenen braucht es vor allem Beratungsangebote vor Ort. Während in Rheinland-Pfalz unter Leitung des Landes Zukunftskonferenzen durchgeführt wurden, blieben die Kommunen in Nordrhein-Westfalen bei der konkreten Bürgerinformation größtenteils auf sich selbst gestellt. Bei den Zukunftskonferenzen in Rheinland-Pfalz wurden Überschwemmungsgebiete auf der neuesten Grundlage dargestellt, aber auch Möglichkeiten des hochwasserangepassten Bauens präsentiert. Außerdem gibt es vor Ort Einwohnerversammlungen mit den Bürgerinnen und Bürgern aller betroffenen Ortschaften, um die Rahmenbedingungen des Wiederaufbaus näher zu erläutern.15

Die Energieagentur Rheinland-Pfalz hat ein Angebot für Kommunen und Unternehmen: Sie berät und unterstützt bei konkreten Projekten, seien sie als langfristiger Beitrag zum Erreichen der Klimaziele angelegt oder akut als Wiederaufbau-Maßnahmen. Die fachliche Initialberatung und Fördermittelberatung erfolgen kostenfrei und anbieterneutral. Ziel ist, dass das Ahrtal als klimaneutrale Region wiederaufgebaut wird. Das bedeutet, dass beim Wiederaufbau eine Energieversorgung (Strom, Wärme, Verkehr, Industrie) auf Basis von 100 Prozent erneuerbarer Energien angestrebt werden soll, ebenso wie eine Land- und Forstwirtschaft, die keine Emissionen mehr verursacht, ergänzt durch eine emissions- und abfallfreie Kreislaufwirtschaft.16

Die Tätigkeit der renommierten Energieagentur NRW wurde durch die Landesregierung zum 31.12.2021 beendet.17 Am 1. Januar 2022 hat die Landesgesellschaft Energie- und Klimaschutz NRW.Energy4Climate ihre Tätigkeit aufgenommen. Doch Angebote im Rahmen des Wiederaufbaus liefert diese zurzeit nicht.18 Nun gilt es, auch hier Personal (u.a. aus der bisherigen Energieagentur NRW) anzuwerben. Die neue Landesgesellschaft sollte dann zusammen mit der Verbraucherzentrale Beratungsangebote für den Wiederaufbau und den klimaangepassten Umbau anbieten.

V. Private Vorsorge: Elementarschadenversicherung

Klar ist, dass Katastrophen nicht gänzlich verhindert oder ihre Auswirkungen vollkommen abgemildert werden können. Die Landesregierung muss sich daher dafür einsetzen, dass sich private und auch öffentliche Eigentümerinnen und Eigentümer von Immobilien in Zukunft (noch) mehr der Klimafolgenanpassung widmen und sofern möglich, sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels über Elementarschadensversicherungen absichern.

VI. Psychologische Hilfen

Das Land NRW hat in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein gruppentherapeutische Angebote gefördert. Außerdem wurden die Traumaambulanzen in NRW, die zur Versorgung von Gewaltopfern gedacht sind, auch für Opfer der Unwetterkatastrophe geöffnet. Individuelle Angebote fehlen jedoch, da die Versorgung schon vor der Katastrophe schwierig war. Die Wartezeit für eine Einzeltherapie war schon vor der Hochwasserkatastrophe und der Corona-Pandemie zu lang. Individuelle Traumata müssen behandelt werden, auch wenn es um viele Fälle geht. Aktuell findet keine aufsuchende Sozialarbeit statt. Wohlfahrtsverbände fangen mit viel ehrenamtlichen Engagement die Lücken auf.

VII. Der Landtag stellt fest:

  • Das Hochwasser hat seine Spuren hinterlassen – sowohl in Form von psychischen Belastungen für die betroffenen Personen als auch als Schäden an Gebäuden und Infrastruktur.
  • Der Wiederaufbau muss dem Anspruch an Nachhaltigkeit gerecht werden, um ein zukunftsfähiges NRW aufzubauen. Damit der Wiederaufbau und der Umbau nachhaltig erfolgt, muss dem Hochwasserschutz eine hohe Priorität eingeräumt werden.
  • Die Landesregierung muss ihrem eigenen Anspruch gerecht werden, dass die Wiederaufbauhilfen endlich schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden.
  • Es braucht jetzt ausreichend Personal auf allen Ebenen: vom Personal in den Ministerien, über Bezirksregierungen bis hin zu den Kommunen vor Ort. Hier ist die Landesregierung in der Verantwortung.
  • Für die Hochwassergebiete muss es ein eigenes Angebot der Energieberatung geben, dass vom Hochwasser Betroffene kostenfrei nutzen können.
  • Folgen von Extremwetterereignissen können nicht gänzlich verhindert werden – umso wichtiger wird daher die private Vorsorge für mögliche Schäden.

VIII. Die Landesregierung wird aufgefordert:

  1. Konkrete Festlegungen zum Wiederaufbau zu treffen und damit den Kommunen am Beispiel von Rheinland-Pfalz einen Rahmen zu schaffen, in dem der Wiederaufbau nur dort erfolgt, wo kein Überschwemmungsgebiet nach Wasserhaushaltsgesetz liegt und in nachhaltiger Weise erfolgt.
  2. Die Rahmenbedingungen für eine konsequente hochwasserangepasste Siedlungsplanung neu zu setzen. Dazu gehört auch, Ausnahmeregelungen zur Ausweisung von neuem Bauland in hochwassergefährdeten Gebieten und zur Erteilung von Baugenehmigungen zu streichen. NRW soll eine Bundesratsinitiative anregen, durch die § 73 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) des Bundes auf seinen Kern, Hochwasserrisikogebiete von Bebauung freizuhalten, zurückgeführt wird.
  3. Einen „Klimazuschlag“ bei der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten einzuführen, der in die Berechnung des Abflusses einbezogen wird, entsprechend dem Vorschlag der Ministerin Heinen-Esser.
  4. Eigentümerinnen und Eigentümern von nicht sanierbaren Gebäuden, die im Hochwasserrisikogebiet standen, die größtmögliche Unterstützung zu gewähren, um schnellstmöglich an anderer Stelle, in räumlicher Nähe wiederaufzubauen. Dafür müssen ggf. die baurechtlichen und raumordnerischen Rahmenbedingungen so angepasst bzw. ausgelegt werden, dass den Hochwassergeschädigten zügig ein Alternativangebot gemacht werden kann. Dazu gehört auch, dass die Regionalplanungsbehörden sehr kurzfristig entsprechende Baureserveflächen darstellen, vorrangig aus dem Siedlungsbestand. Soweit es sich nicht um Naturschutz­ oder FFH-Gebiete handelt, sind dort kurzfristig Möglichkeiten für Ersatzneubauten zu schaffen, wenn die öffentliche Hand Flächen kaufen oder in Erbpacht nehmen kann. Für diese Arbeiten sind durch die Landesregierung unmittelbar die notwendigen personellen Kapazitäten zu schaffen. Es ist ein Bodenfonds des Landes für den Ankauf von künftig nicht mehr bebaubaren Grundstücken zu prüfen.
  5. Die in Nordrhein-Westfalen voraussichtlich wenigen notwendigen Ersatzbauten für völlig zerstörte Häuser, die im „HQ 100”-Bereich liegen, in nur wenigen und gut begründeten Ausnahmefällen zu gestatten. Dabei sind für die raumordnerische Abwägung die Hochwassergefahrenstufe und die Betroffenheit der Schutzgüter zu berücksichtigen.
  6. Den Geschädigten sind zur Finanzierung des nachhaltigen Wiederaufbaus Finanzmittel attraktiv zur Verfügung zu stellen. Hierzu soll die Landesregierung die NRW-Bank beauftragen, die Fördermittel mit folgenden Maßgaben anzubieten:
  • Wiederaufbau-Fördermittel sollen nicht förderschädlich für andere Programme sein.
  • Mindestens 50 Prozent der beantragten Kosten sollen im Rahmen der ermöglichten Abschlagszahlungen bereits vorab nach erster Kostenschätzung gemäß Kostenvoranschlag ausgezahlt werden.
  • Die Abrechnung erfolgt im Nachgang auf Basis von tatsächlich entstandenen Kosten. Etwaige Überzahlungen wären zu erstatten. Es besteht Rückzahlungspflicht, sofern das Geld nicht wie bewilligt ausgegeben wird. (Zinsen werden vom Land übernommen.)
  1. Die personelle Unterstützung der Kommunen beim Wiederaufbau und Umbau ihrer eigenen Infrastrukturen zu unterstützen,
  • hierzu den Kommunen ermöglichen, Wiederaufbaupläne in Etappen einzureichen, damit diese die Arbeitsbelastung besser einteilen können
  • Personal von Landesbehörden zur Verfügung stellen, die in den Kommunen und Bezirksregierungen Planung und Antragsbearbeitung unterstützen.
  1. Die für den Wiederaufbau notwendige personelle Ausstattung in den Ministerien und Bezirksregierungen umgehend zur Verfügung zu stellen. Hierzu soll Personal durch Abordnungen sowie Zuschläge zum zeitweisen Wechsel ermuntert werden.
  2. Die Landesgesellschaft Energie- und Klimaschutz NRW.Energy4Climate soll beauftragt werden, im Rahmen des Wiederaufbaus darzustellen, wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz umgesetzt werden können und, orientiert am Ahrtal, ein nennenswerter Beitrag zur Zukunftssicherung gewährleistet werden kann. Darüber hinaus soll sie gemeinsam mit der Verbraucherzentrale zeitnah ein Beratungsangebot zum Wiederaufbau und nachhaltigen Umbau schaffen.
  3. Die Landesregierung soll sich im Bundesrat dafür einsetzen, dass Elementarschadenversicherungen zum Standard werden und hierzu die Informationsvermittlung intensivieren, u.a. mittels Werbe- und Infokampagnen, evtl. in Kooperation mit den entsprechenden Versicherungsunternehmen.
  4. Einen Runden Tisch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Verbänden der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und weiteren Akteuren einzuberufen, um die Versorgungssituation in den von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Gebieten zu verbessern. Auch die Kapazitäten in den Jugendpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter sowie schulpsychologische Angebote sollen ausgeweitet werden. Gemeinsam mit dem Bund muss darauf hingewirkt werden, dass die psychotherapeutische Bedarfsplanung reformiert wird und mehr Kassensitze für Psychotherapeutinnen und -therapeuten geschaffen werden können.

 

1 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-14986.pdf

2 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-13753.pdf

3 https://www.gruene.de/artikel/koalitionsvertrag-mehr-fortschritt-wagen

4 https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/Pressemitteilung/2022-01-19_Arbeitsplan_Hochwasser.pdf

5 https://wiederaufbau.rlp.de/fileadmin/wiederaufbau/2021/15-Oktober/VV_Wiederaufbau_RLP_2021_MinBlatt.pdf

6 https://www.m hkbg.nrw/sites/default/files/media/document/file/2021-11-11_mhkbg_foerderrl_wiederaufbau_nrw_neu.pdf

7 https://wiederaufbau.rlp.de/fileadmin/wiederaufbau/2021/15-Oktober/VV_Wiederaufbau_RLP_2021_MinBlatt.pdf

8 https://www.m hkbg.nrw/sites/default/files/media/document/file/2021-11-11_mhkbg_foerderrl_wiederaufbau_nrw_neu.pdf

9 https://www.m hkbg.nrw/sites/default/files/media/document/file/2021-11-18_mhkbg_erl_wiederaufbau-baurechtliche_handlungsanleitung_zum_wiederaufbau_an_derselben_stelle_sowie_zur_hochwasservorsorge_und_zum_hochwassersch002.pdf

10 Vorlage 17/6217

11 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-3462.pdf

12 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6457.pdf

13 KSta vom 5.1.22, Tausende Opfer der Flut warten auf Finanzhilfen

14 Vorlage 17/6217 sowie https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6457.pdf

15 https://mdi.rlp.de/de/service/pressemitteilungen/detail/news/News/detail/zweite-zukunftskonferenz-klaert-zentrale-fragen-des-

wiederaufbaus/?no_cache=1&cHash=9e002313d0ee2f90554acde3d7164383

16 https://www.energieagentur.rlp.de/service-info/wiederaufbau-flutgebiete

17 http://www.energieagentur.nrw/

18 https://www.energy4climate.nrw/service/newsroom